: Dialog mit G.B.
Susanne Linke und Urs Dietrich tanzten in Berlin ihre Hommage an Gerhard Bohner ■ Von Michaela Schlagenwerth
Als Gerhard Bohner am 15.Mai 1983 seinen ersten Solotanzabend in der Akademie der Künste vorstellte, war er 47 Jahre alt. Hinter ihm lagen eine Tanzausbildung unter anderem bei Mary Wigman, ein zehnjähriges Solistendasein an der Deutschen Oper Berlin (1961 bis 1971), einige choreographische Erfolge sowie zwei (an ihm oder an der Institution?) gescheiterte Leitungen an Tanztheatern: 1972 bis 1975 in Darmstadt und 1978 bis 1981 gemeinsam mit Reinhild Hoffmann in Bremen.
„Die Folterungen der Beatrice Cenzi“, Bohners größter Wurf überhaupt, landete in der Spielzeit 1973/74 mitten unter den Ballettklassikern auf Rang fünf der deutschen Spielplan-Statistik. Von seinem „Heimathaus“, der Deutschen Oper Berlin, erhielt er nur einen einzigen Choreographieauftrag: Unter dem Eindruck der Studentenunruhen, die sich bis in das eigene Tänzerensemble fortgesetzt haben, versuchte das konservative Haus an der Bismarckstraße im Jahr 1969, sein Image durch ein Engagement von Gerhard Bohner und Johan Kresnik aufzubessern. Bei dem einen Auftrag blieb es, die Erfolge der provokativen Choreographien des Haussolisten wurden ignoriert; und alles, was man dem Haus zugute halten kann, ist, sie nicht verhindert zu haben.
„Schwarz Weiß Zeigen“ hieß das Stück, das Bohner 1983 in der Akademie der Künste vorstellte und im Untertitel: „Ballett ohne Tänzer, Übungen für einen Choreographen“. Gerhard Bohner waren, nachdem er aus der Theaterinstitution herausgetreten, aber auch herausgedrängt worden war, die Tänzer abhanden gekommen, und so nahm er in einem Alter, wo andere Vertreter seines Berufes sich zur Ruhe setzen, erneut ein intensives Körpertraining auf und wurde zu seinem eigenen Darsteller – als „Tänzer“ wollte er sich nicht mehr verstehen. „Ich erinnerte mich, daß es mir in der Arbeit mit Tänzern stets gelang, mit dem, was ich vormachte, dem Tänzer eine Idee zu vermitteln, die er dann als Tanz weitergeben konnte. In ,Schwarz Weiß Zeigen‘ zeige ich dem Zuschauer, was ich normalerweise dem Tänzer zeige.“ „Schwarz Weiß Zeigen“, Bilanz eines Scheiterns, in der der Choreograph zu seinem einzigen Darsteller wird, der sich mit der Musik, dem Raum und einigen Requisiten auseinandersetzt und die Abwesenheit eines lebendigen Tänzers durch das Arrangieren einer Gliederpuppe dokumentiert, markiert nicht das künstlerische Ende, sondern den Aufbruch zu neuen Ufern. Hatte Bohner mit der Neuinterpretation des „Triadischen Balletts“ nach Oskar Schlemmer (Akademie der Künste 1977) und Kandinskys „Bilder einer Ausstellung“ (Bremen 1981) den Tanz in Relation zu entscheidenden Kunsttheorien des 20.Jahrhunderts gesetzt, so kommt nun ein Neues hinzu: Die Auseinandersetzung mit der körperlichen Begrenztheit, dem Altern und – bedingt durch die eigene Krankheit – dem Tod. Die Annäherung an die Abstraktion in der Bewegung nahm neue Dimensionen an. Auf „Schwarz Weiß Zeigen“ folgten „Abstrakte Tänze“ und „Drei Bauhaustänze“, „Im (goldenen) Schnitt I“, „II“ und „III“.
Nur von einem kleinen Publikum wahrgenommen, entwickelte Gerhard Bohner aus der zunächst unbequemen „Notlösung“ im Laufe von fast zehn Jahren eine steile künstlerische Karriere, deren Wirkung auf den Tanz erst am Beginn ihrer Entfaltung steht.
Gerhard Bohner wird das allerdings nicht mehr erleben: Er ist im Juli des vergangenen Jahres gestorben. Nun kam vorletzten Mittwoch Susanne Linkes und Urs Dietrichs „Dialog mit G.B.“ als Abschluß des Tanzwinters im Berliner Hebbel-Theater zur Uraufführung. In Rauminstallationen von Robert Schad versuchen erst Urs Dietrich und im zweiten Teil des Abends Susanne Linke eine Auseinandersetzung mit der Ästhetik Gerhard Bohners.
Ein Mensch (Urs Dietrich in anthrazitfarbener Jeans und Boxer-Shirt) löst sich mit mechanisch- ruckartigen Bewegungen aus dem Haufen heraus und arbeitet sich langsam in den Stand. Anschwellende Maschinengeräusche begleiten seine Bemühungen, entwickeln einen Rhythmus, dem der Tänzer mit seinen Bewegungen folgt. Hupsignale ertönen, Stimmen werden laut und kommen näher, Fußgetrampel poltert, eine Tür schlägt zu, und Urs Dietrich bleibt wieder mit den stampfenden Maschinengeräuschen allein. Schichtwechsel? In zuckenden Bewegungen treibt es Urs Dietrich von einer Pose in die andere. Die Pose als Posa=Pause, Moment der Unterbrechung, als Innehalten des Körpers, das jedoch keine Möglichkeit des Ausbruchs bietet und den Tänzer in die immergleichen Bewegungsabläufe des maschinellen Rhythmus treibt. Daß der verselbständigte Körper keinen Außenanreiz mehr braucht, wird deutlich, als der Ton verstummt, im Ausbleiben akustischer Impulse offenbart sich der Tanz als vollends seelenloser Automatismus. Jedoch verflüchtigt sich der erste faszinierende Eindruck von Robert Schads Stahlgebilde und Urs Dietrichs körperlicher Präsenz zu bald, und trotz der insgesamt gelungenen Konzeption kann das Thema keine ausreichende Kraft entfalten, um den Zuschauer zu bannen.
Mehr als Urs Dietrich ist Susanne Linke gescheitert. Eine Rolle mag dabei die Erinnerung an den noch nicht lange verstorbenen Freund gespielt haben: Der Abend litt an einer Bleischwere, wie sie Gerhard Bohners Arbeit, trotz aller Strenge und Reduktion der Form, wohl nie eigen war – von seinem Humor war nichts zu spüren. Die Begegnung mit der von Robert Schad in der Pause umgebauten Stahlkonstruktion geriet Susanne Linke zum Alptraum.
Im rechten Hintergrund aufragende, große Stahlspitzen und eine die ganze Bühnenbreite ausfüllende, liegende Konstruktion okkupieren den Raum. Wie die Besucherin einer Skulpturenausstellung – einem Museum für Gerhard Bohner? – bewegt sich Susanne Linke in schwarzem Herrenanzug und schwarzen Pumps in einem Raum, der ihr keinen Platz mehr läßt und Gefährdung und Verletzung androht. In „Im (goldenen) Schnitt II“ tanzte Gerhard Bohner zu einer Stahlkonstruktion von Robert Schad und vergewisserte sich, schon unheilbar krank, noch einmal seiner körperlichen Möglichkeiten. Deutlich setzt Susanne Linke ihren „Dialog mit G.B.“ mit diesem Werk in Verbindung. Urs Dietrichs Aufbruch, das Aufrichten des Körpers und dessen Lösung von den Stahlelementen endet bei ihr am Schluß des zweiten Teils wieder auf dem Boden. Bernhard Wambach, der sie am Klavier mit John Cages „Sonatas and Interludes for Prepared Piano“ begleitet, klappt den Deckel zu, geht ab und läßt sie, die wie tot am Boden liegt, allein auf der Bühne zurück.
Gerhard Bohner tanzte in „Im (goldenen) Schnitt I“ die gleiche Choreographie wie in „Im (goldenen) Schnitt II“. Verändert wurde der Tanz allein durch die jeweils unterschiedlichen Rauminstallationen von Vera Böhm und Robert Schad. Ein Nebeneinander von Skulptur und Bewegung wurde durch das Auge des Betrachters in Beziehung zueinander gesetzt und ließ gleiche Bewegungen völlig verschieden wahrnehmen.
Gerhard Bohner hat die Rauminstallationen nie kommentiert. Susanne Linke konnte sich zwischen der Abstraktion und Emotion verbindenden Ästhetik Gerhard Bohners und ihrer eigenen, Bedeutung setzenden und Geschichten erzählenden Ästhetik nicht entscheiden.
Zweifellos ist es ein Abenteuer, ihr bei minimalsten Bewegungen zuzuschauen, doch ihre Uneindeutigkeit im abstrakten Fortführen der geometrischen Formen, wie in der schmeichelnden Kontaktaufnahme mit der Skulptur, war zu deutlich ein Wanken zwischen Erzählen oder Nichterzählen von Geschichten und wurde zum bedrückenden Verhängnis des Abends. Buh-Rufe, die sich in den Applaus mischten, gab Susanne Linke doof an das Publikum zurück.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen