: Ist sie nicht schön?
„Female Misbehavior“ von Monika Treut porträtiert vier ungezogene Frauen ■ Von Anke Westphal
Camille Paglias Sexualleben ist eine Katastrophe, sagt sie. Sie sagt auch, daß man von Männern nie mehr als Sex erwarten sollte. (Und Geld!, um die Boshaftigkeit zu komplettieren.) Carol fühlt sich warm und sicher, wenn sie gefesselt wird. Annie Sprinkles liebstes Gefühl ist es, sich sexy zu fühlen, und Max, vormals Anita, hat sich entschlossen, ein „richtiger Kerl“ zu werden. Unnötig zu erklären, daß es wieder mal um Sex geht, im filmisch fixierten wirklichen Leben – aber nicht gleich gähnen oder sich prophylaktisch entrüsten: Die durch „Die Jungfrauenmaschine“ und „My Father is Coming“ endlich zu schöner Berühmtheit gelangte Monika Treut bürgt auch bei „Female Misbehavior“ für einen sympathischen Outlaw-Feminismus jenseits aller realexistierenden Stereotypen von blauen Kostümen und Birkenstock-Sandalen. „Female Misbehavior“, eine Zusammenstellung von vier Kurzfilmen aus den Jahren 1983 bis 1992, ist Treuts „Liebeserklärung an alle exzentrischen, angstlosen, obsessiven Frauen, wo immer sie sein mögen“. Vier davon hat die Regisseurin in den USA getroffen und in ihrer Low-Budget-Produktion mit Bolex oder Beta-SP porträtiert. Der größte Vorzug dieses Films liegt darin, daß tatsächlich, und zwar amüsant, über Sex geredet wird und nicht nur über Theorien vom Sex. Was Frauen ja oft angedichtet wird. Carol zum Beispiel redet über Fesseln: „Es ist der geilste Sex, glaube ich.“ Sie lebt als lesbische Sado-Masochistin, weil es ihr irgendwann zu langweilig wurde, dieses gute, nette Mädchen vorzustellen, zu dem man sie erzogen hatte. Vor den Spiegeln ihres Badezimmers stimuliert sie, freundlich und ernsthaft wie eine Art S/M-Trainerin in blauschwarzem Leder, ihre Brustwarzen mit Saugschalen und Fingern, während immer wieder hastige Straßenszenen einen wie im Stilleben verschnürten Körper zeigen.
Carols gelassene Melancholie sticht vollkommen gegen die nachfolgende Trash-Fröhlichkeit von Annie Sprinkle ab – simple, aber effektvolle Montagekunst. Die Ex- Pornodarstellerin und Performerin Sprinkle kam sich als Hausfrau Ellen im kleingeblümten, fliederfarbenen Flanellenen häßlich, fett und nicht begehrenswert vor und dokumentiert nun ihre Wandlung – unter der Parole: Selbst ist die Frau, und alles ist möglich! – zur „glamorous Annie“. Auf Sechs- Inch-Absätzen, im königsblauen Satin-Body, mit den popkullerigsten Handschuhen, die je an einem weiblichen Arm gesichtet wurden, räkelt sie sich vor der Kamera, um mittels eines Spekulums ihre Vagina vorzuführen. (Obwohl eigentlich die Eierstöcke ihr liebstes Körperteil sind, aber deren Demonstration wäre wohl etwas schwieriger.) „Ist sie nicht schön?!“, begeistert sich Annie zu flotter Akkordeonmusik, und wer würde ihr widersprechen wollen? Auch wenn einen die ulkige Annie eher wie eine Tupperware-Vertreterin des Sex deucht: gleichermaßen naiv wie schrill als uramerikanisches Klischee.
Hinreißend, aber schon geht es weiter – mit Frau Prof. Paglia, die durch ihr Buch „Masken der Sexualität“ intellektuellen Starruhm errang. Die sich auf Fotos gern als Megäre präsentierende Paglia rattert mit knautschiger Micky-Mouse-Stimme Aphorismus um Aphorimus herunter, daß es nur so eine Lust ist. Ob im schlichten Schwarzen vor ägyptischer Stele oder in gestreifter Hemdbluse mit kuchengefüllten Backen auf taubengrauem Leinensofa, Paglia ißt und schnattert (brillant!), daß man wie gelähmt auf ihr hyperaktives, einen mit Thesen perforierendes Mundwerk starrt. „Yes, yes“, ächzt der Interviewer, zu mehr kommt er nicht, aber der erklärte Höhepunkt dieses vergnüglichen Streifchens zeigt die zierliche Paglia vor der Leinwand eines Porno-Kinos rhythmisch anerkennend den überdimensionalen Koitus benicken. Siehst Du, Menschheit, des Pudels Kern ist im Chthonischen verborgen! Sie hat es schon immer gewußt. „Dr. Paglia“ demonstriert, was die Hochzeit von Show und Intellekt bedeuten kann: Wissenschaft von einzigartigem Unterhaltungswert, und Monika Treut befördert dies durch eingeblendete Sequenzen, wie die einer gleich mit zwei Revolvern schießenden Greisin, aus alten (zwanziger/fünfziger Jahre) Filmen.
„Max“ erzählt die radikalste und daher wohl bewegendste unter den vier Geschichten über „schlechtes Benehmen“ von Frauen. Die Schwarzfuß-Indianerin Anita Valerio, als „Aborigines“ und Frau schon doppelt in der Außenseiterrolle, hat das Geschlecht gewechselt, um als Max die Ambivalenzen transsexueller Existenz auszuleben. „Es ist dein Körper“, sagt Max, „mit dem du tun kannst, was immer dir gefällt.“ Eine beunruhigende Vorstellung. Man verläßt das Kino und fühlt sich unwiderstehlich verwegen.
Monika Treut: „Female Misbehavior“. BRD/USA 1983 bis 1992, 80 Minuten.
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