piwik no script img

Dortmunder Elfmeter

„Nordkurve“ von Adolf Winkelmann – Ein rasantes Heimspiel  ■ Von Christof Boy

Dortmund kocht. Nein nein, es ist nicht Samstag, und es steht kein Spiel jenes in Dortmund ansässigen Vereins an, der mit seinen treuen Fans das Westfalenstadion bei Heimspielen regelmäßig in einen Hexenkessel verwandelt. Dortmund kocht vor Wut über die „Nordkurve“, den neuen Film von Adolf Winkelmann. Der Film hat schon im Vorfeld soviel Empörung ausgelöst, daß sich der Präsident des Vereins veranlaßt sah, einen Brief an die örtliche Presse zu diktieren: „Der Regisseur Adolf Winkelmann, der früher mit einigen durchaus nett anzusehenden Ruhrgebietsfilmen auf sich aufmerksam machte, schildert Zustände, wie sie nirgendwo in der Bundesliga vorkommen, zumindest nicht bei uns. Gewalt, Sex, Korruption und Intrigen, so Winkelmann, seien im deutschen Fußball an der Tagesordnung. Gegen diese Behauptung möchte ich mich aufs schärfste verwahren.“ Der Brief erregte Aufmerksamkeit, und ein halbes Dutzend Journalisten erkundigte sich beim Büro des Filmemachers über den Stand der Aueinandersetzung. Ätsch, reingefallen! Das empörte Schreiben ist nur ein Fake, eine witzige Werbekampagne zum Film. Wahre Fußballfreunde hätten sofort bemerkt, daß „Union 86“ ein fiktiver Verein ist, auch wenn er noch so viele schwarz-gelbe Fahnen raushängt. In Dortmund spielt die Borussia.

Adolf Winkelmann hatte schon immer eine Vorliebe für das amerikanische Kino, auch wenn der Import typischer Merkmale des Hollywood-Kinos in seinen Filmen nicht immer funktionierte. Diesmal hat er sich den Vertrieb von den Amerikanern abgeschaut. Der deutsche Film, argumentiert der Dortmunder Filmemacher jetzt, kranke nicht so sehr an mangelnden Ideen, sondern an angemessener Werbung. Die Filmförderung kümmere sich fast immer nur um die Produktion, selten jedoch um die Vermarktung der Filme. Von einem Werbeetat, wie ihn Hollywood-Filme zur Verfügung haben, kann Winkelmann nur träumen. Aber pfiffige Einfälle können da mehr bewegen als das ewige Lamento benachteiligter deutscher Regisseure. So entstand die Idee mit dem fingierten Pressebrief. Entscheidender war aber der zweite Schritt: Adolf Winkelmann organisierte den Verleih selbst. Es war abzusehen, daß die großen Filmverleihe nur mit den Schultern zucken würden bei einem Film, der sich zwar im Ruhrgebiet, aber nicht bundesweit verkaufen läßt. Dreißig Kinos quer durch die Republik hat Winkelmann schließlich gefunden, die bereit sind, „Nordkurve“ zu starten; 50 Termine sind bis in den April fest gebucht. Das sind nicht viel mehr, aber auch nicht weniger Kinos als bei anderen Ruhrgebietsfilmen, die über den normalen Weg des Verleihs im Kino anlaufen. Mit 30 Kopien startet „Nordkurve“, Christoph Schlingensiefs „Terror 2000“ kommt auf sieben, „Stalingrad“ ging mit 225 in die Kinos.

Fußball ist ein Phänomen der Masse. Ein Film über Fußball muß mit dieser Masse manövrieren. Doch die Darstellung der Menge sagt nichts über die Motive ihrer Begeisterung aus. Der andere Weg, Einzelschicksale für das Ganze sprechen zu lassen, birgt die Gefahr, in einen Episodenfilm abzurutschen. Winkelmann schafft ein komplexes Porträt, indem er die einzelnen Figuren immer in die Gruppe einbindet, aus der heraus dann die Aktionen starten. So bricht in vielen Szenen immer wieder dieses seltsame Fieber aus, das Männer samstags packt und sie in Fans verwandelt. Ein Fan kann alles sein. Schalschwingender Vater. Besoffener Nostalgiker. Grölender Randalierer. Jeder für sich, doch alle für eines: „Tu'n rein, für'n Verein.“

Dortmund ist Borussia. Eine eingeschworene Fangemeinde auch in schweren Zeiten. Männer, die darauf brennen, den Borsigplatz schwarz-gelb anmalen zu können, wenn die Mannschaft doch endlich wieder einen Pokal holen würde. Dortmund trägt auch eine traurige Last. Hier in der Nähe des Borsigplatzes trieb die rechtsradikale Borussenfront schon ihr Unwesen, als noch niemand von Fremdenhaß sprach. Drehbuchautor Michael Klaus spitzt nichts zu. Bei ihm ist die Gewalt gleichmäßig auf beiden Seiten der gegeneinander antretenden Fanblöcke verteilt. Gewalt ist geil, nach diesem Motto handeln die Fans. Sich abreagieren, den starken Mann markieren, irgendjemand oder irgendetwas spüren lassen, daß man wütend ist.

Gewalt ist nichts Besonderes mehr in diesen Kreisen – das ist vielleicht die erschreckendste Erkenntnis des Films. Die Polizei hat sich darauf eingestellt, kanalisiert den Strom der Fans und sieht häufig weg. Der Anlaß für Gewalt ist klein genug. Ein verpatzter Spielzug – schon wird die Toiletteninstallation aus der Wand gerissen. Eine schlecht gewürzte Currywurst von „Mac-Nepp“, und schon steht seine „Frittenschmiede“ in Flammen. Deutsch an dieser Gewalt ist, daß sie erst richtig ausbricht, wenn jemand auf die Inkonsequenzen des Tuns hinweist. Deutsche wollen sich nie belehren lassen.

Ein deutscher Fan traktiert einen türkischen Kollegen im Bus, weil er für die hartgekochten Eier das Salz vergessen hat. „Nur mit Salz schmecken sie“, sagt er. Als der türkische Junge ihn darauf aufmerksam macht, daß er nun schon das vierte Ei ohne Salz heruntergeschlungen habe, wird der Deutsche handgreiflich, verprügelt den Türken und wirft ihn aus dem Bus. Recht haben dürfen nur Deutsche.

„Nordkurve“ wirkt dicht, solange das Geschehen auf die Fans beschränkt bleibt. Fußball von unten, darin ist Winkelmann stark. Doch er wagt sich auch in die Chefetage, will die Kungeleien zwischen SPD-Filzokratie und Management, die abgekarteten Geschäfte zwischen Spielervermittler und Verein zeigen. Dazu führt er eine Journalistin ein, die sich blond und klischeehaft gegen Kniegrabscher durchsetzen muß, um in ihrer investigativ angelegten Recherche über Fußball und Erotik weiterzukommen. In diesen Szenen wirkt der Film ziemlich unbeholfen. Adolf Winkelmann weiß viel über die Fans und ihre kleinen Schweinereien. Die konnte er schließlich bei seinen Besuchen im Stadion und in den Fankneipen beobachten.

Die richtigen Schweinereien hinter den Kulissen konnte er nur erahnen. Daß er soviel Gewicht auf das Treiben des Managements legt, nimmt dem Film die Spannung. „Nordkurve“ endet schließlich so wie das Spiel an diesem Samstag im Westfalenstadion – unentschieden.

Adolf Winkelmann: „Nordkurve“. Mit: Renate Krößner, Hermann Lause, Walter Kreye, Jochen Nickel u.a. BRD 1993.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen