SPD probt den Öko-Verbalismus

■ Doch konkrete ökologische Forderungen für die anstehenden Solidarpakt-Verhandlungen sind nicht in Sicht

In grauer Vorzeit, 1989, hatte sich die SPD zur Alternative gemausert. Kern ihres Wahlprogramms „Fortschritt 90“: die Öko- Steuer. Benzin und Energieverbrauch sollten kräftig verteuert, das ökologisch Sinnvolle ökonomisch gesteuert werden.

Demnächst wird nun wohl die Regierung Kohl die Mineralölsteuer erhöhen, zwecks Sanierung der Bahn oder der Staatsfinanzen, das wird sich erst später herausstellen. Auf jeden Fall gerät die SPD einmal mehr in Verlegenheit. Sie kann kaum dafür und sie kann nicht ganz dagegen sein. Ihre traditionellen Sozialpolitiker wie Rudolf Dreßler werden poltern, daß wieder einmal die kleinen Leute zahlen sollen. Lafontaine wird (für niemanden verständlich) vorrechnen, daß die Sache ökologisch verfehlt und ökonomisch unsinnig sei. Fraktionschef Klose wird milde mahnen, daß auch die SPD sich der Sache nicht entziehen könne, wenngleich die Regierungspläne unzureichend seien. Was der Parteivorsitzende dazu meint – das bleibt vermutlich geheim.

„Eigentlich“ sind ja alle immer noch dafür. „Eigentlich“ steht, etwa für Fraktionschef Klose, die Umweltfrage auf dem ersten Platz, „eigentlich“ ist die ökologische Modernisierung Lafontaines Lieblingsthema geblieben. Weder im Sofortprogramm des Sonderparteitags 1992, noch im 20-Punkte- Katalog für den Solidarpakt fehlt der Ruf nach ökologischer Erneuerung. Er findet sich stets an prominenter Stelle.

Nur wie, nur wann? Die Alternative von 1989 ist der SPD zwischen den Fingern zerronnen, und die Akteure aus dem Führungspersonal setzen erkennbar unterschiedliche Akzente. Oskar Lafontaine drängt neuerdings wieder darauf, daß der Solidarpakt eine „ökologische Dimension“ haben soll. Fraktionschef Klose dämpft solche Erwartungen vorsichtshalber: Soll die SPD, die ohnehin unentwegt mit auseinanderdriftenden Interessenlagen in den eigenen Reihen zu kämpfen hat, auch noch ökologisch draufsatteln? Michael Müller, Umweltsprecher der Fraktion, nennt als Datum für die ökologische „Komponente“ ausdrücklich: das ist der zweite Schritt nach den Bund-Länder-Verhandlungen über den Solidarpakt. Gerhard Schröder wird kaum bestreiten, daß seine „Energie-Konsens“- Initiative nicht ganz frei von taktischer Überlegung ist. Pluralistische Energie-Konsens-Debatten sind womöglich wählerverträglicher als steuerliche Mehrbelastungen.

Die verlangt die SPD ja ohnehin und ganz jenseits der Ökologie in kräftigem Maß. Ergänzungs- und Arbeitsmarktabgabe sollen zwar die Besserverdienenden bezahlen, doch weiß das Wahlvolk der SPD wohl richtig einzuschätzen, daß die SPD den „kleinen Mann“ inzwischen recht engherzig definiert. Für die Entlastung der Lohn- und Einkommensteuer, die im Gegenzug zum teuren Benzin und Heizöl 1989 noch SPD-Versprechen war, ist die Luft jedenfalls viel zu dünn geworden.

So spiegelt sich in den unterschiedlichen Akzenten der führenden SPD-Politiker weniger ein ausgeprägter konzeptioneller Streit, als vielmehr die verlegene Suche nach Profil unter ganz und gar veränderten Bedingungen. Mit der Rezession und den Finanzforderungen der deutschen Einheit haben sich nicht nur die ökonomischen Voraussetzungen verändert. Heute geht es nicht darum, das bessere Programm, die bessere Alternative zu verkörpern. Die SPD ist in Steuer- und Finanzfragen vielmehr zur Zusammenarbeit mit der Regierung verdammt – und sitzt dazu am kürzeren Hebel. Ein Wahlprogramm mit Öko-Steuer – gut und schön. Aber wer, fragt beispielsweise Umweltexperte Michael Müller, garantiert denn, daß höhere Energiesteuern wirklich in die ökologische Modernisierung gesteckt werden, wenn sie von Finanzminister Theo Waigel verwaltet werden? Wohlweislich hält auch Lafontaine sein Verlangen nach mehr Ökologie beim Solidarpakt auf allgemeiner Ebene. Er zeigt sozialdemokratische Flagge, scheint aber nicht einmal die Hoffnung zu haben, konkrete politische Forderungen in den anstehenden Verhandlungen durchzusetzen. Denn er stellt gar keine.

Lafontaine will die Zeichen der Zeit für seine Partei nutzen. Er hegt wie so mancher in der SPD die schöne Hoffnung, daß der Clinton- Effekt auf die Bundesrepublik übergreift und der ökologischen Frage auch beim einheits-irritierten deutschen Wahlvolk wieder steigende Konjunktur verschafft. Aber bis heute ist es der SPD nicht gelungen, die Erfordernisse der Integration von West- und Ostdeutschland mit der „ökologischen Modernisierung“ der Bundesrepublik zu verbinden. Davon ist das Gerangel um mehr oder weniger ausgeprägte ökologische Solidarpakt-Komponenten noch weit entfernt. Tissy Bruns