: Vergängliche Hitze der Fritten
Einblicke in Berlins Schlemmerkultur aus der Sicht des Taxifahrers ■ Von Fritz von Klinggräff
„Savignyplatz, Ordensmeister- Halte, und natürlich am Amtsgerichtsplatz“. Jonny sitzt nicht viel länger als ich auf dem Bock, aber wenn's um Imbißkultur geht, sehe ich alt aus.
Nicht die tägliche Wurst ist das Problem. Die Top-Adresse des frittierenden Gewerbes, so weiß man mit Sicherheit an jedem Taxistand, ist der Amtsgerichtsplatz. Jonny aber weiß, daß die Curry da auch nicht mehr ist, was sie mal war. Schmuddlig ist es in dem niedlichen Wagen mit Backsteintapete geworden, sagt Jonny, immer abwechselnd hat einer Akne. „Die große Zeit war früher mit dem Homosexuellen. Aber er hat dann seinen eignen Laden in der Wilmersdorfer 101 aufgemacht. Inzwischen soll er tot sein, hab' ich gehört. Na ja.“
Trotzdem – Jonny hält noch immer am Amtsgerichtsplatz. Zwei Curry nimmt er und eine Bulette, schön übereinandergestapelt, mit volltomatigem Ketchup veredelt, „bißchen schärfer“, so macht man das hier; die Frage nach Pommes ruft nur ein müdes Lächeln hervor. Wer Pommes will, darf nach den ersten Adressen am Ort nicht fragen. Wo Qualität geboten wird, mit Rostbratwurst vom Grill und ,Soße‘ – Zigeunersalat mit Gurkenstückchen und Zwiebeln – hält man Abstand von den großen Knotenpunkten der Stadt. Man zieht sich zurück in die Büsche am Teltowkanal und gibt mit dem Manne hinter dem Tresen den Kutschern an der Ordensmeister- Halte Zeichen von bürgerlichem Dasein. Anders aber lebt sich's im Verkehr.
Am Auto-Imbiß in der Klingelhöferstraße ißt man die Pommes mit spitzen Fingern und starrt auf die Kreuzung. Hier findet sich der Ursprung der weißgrauen Wagen: im Schnittpunkt von Krieg und Zivilisation. Zurück aus Vietnam, verlangte Frankreichs Gefechtsführer Pommes frites. Das war des Söldners Drang zur Marketenderin. Nicht die Quittierung des Dienstes, nur eine kleine Pause. Bei Karin, am Auto-Imbiß, treffen sich, von Norden und Osten her kommend, die Heere und schlagen gräßlich aufeinander ein – wer aber sich bis zu ihr durchschlägt, ist dem Getümmel entkommen und findet hier, im Auge aller Schlachten, Blicke der Ruhe.
„Herein ins Marketenderzelt, müssen vor eins zusammen saufen, eh wir weiter reden“, rief man einst – wie lachen da heute noch die Soldaten, wenn sie am Wegesrand steht, mit ihrem Wägelchen, hochgehackt mit bunter Mütze. Und wahr ist: An der Pommesbude wird die Zunge schwer von der vergänglichen Hitze der Fritten, die Worte karg vor Traurigkeit und kalter Nässe in den Knochen. „Mäuschen, erinnerst du dich...?“ Natürlich erinnert sie sich, schweigt. Das Schaschlik ist versalzen. Die Mannschaft von „Klima – Lüftung – Kälte: Kälte-Bast“ wirft schamlose Blicke auf die Front und die Takelage der Frauen vom Auto-Strich. Dieter, der Schweigsame mit dem Schultheiß, tut, was er immer tut. Der Krieg tobt in unverminderter Stärke.
Wo er sich bricht, an der Oberbaumbrücke, am Stadttor, hat man die Barrikaden zusammengeschossen, bald schon werden in die Spree wieder Leichen geschaufelt. Auf Hasenfüßen wetzen Befehlshaber zum Oberkommando und werden bedankt: Schweinebacken, hängend vor Wohlgefallen. Die alltägliche Curry mit Pommes gibt es woanders. Bei Anni am Kotti, manche nennen sie Elli. Die wärmt sich die Hosenbeine an der Heizsonne, ihr Gehilfe schneidet die Zwiebeln und spült die Teller in stehendem Wasser. Die Pommes schmecken nicht lappig, solange sie heiß sind, und keiner lacht, wenn pfeifend das Trinkgeld im Gummischwein verschwindet. Man kennt sich und wird nach Jahren noch wiedererkannt.
Jonny aber, meinen Chef, den geht das alles jetzt nichts mehr an. Kürzlich nämlich hat er eine Diätköchin gefahren: „Die hat mir abgeraten von Currywürsten. Zu achtzig Prozent besteh'n die aus Fett. Wer abnehmen will, für den ist das nichts.“
Jonny zog Konsequenzen und schnackte mir den Restaurantführer ab, der hier eigentlich zur Besprechung kommen sollte: „Restaurants in Berlin“, vom Tagesspitzel-Verlag Argon. Ich war froh, diesen Alptraum von Mousse au Chocolat und Table deux loszuwerden – nur eine Kostprobe für stabile Magenträger habe ich aufbewahrt: „Wir probierten gute, frische Salate, etwa mit Speck oder Kaßlerbraten, bei denen Sherry- und Rotweinmarinade seltsamerweise völlig identisch waren (9.50 DM/14.50 DM), sowie braven, mit Mozzarella überbackenen Blattspinat (13.50 DM). Korrekt fanden wir auch das kurz und knapp angebratene Gemüse mit Reis (16.50 DM) und den deftigen Kräuterbraten vom Schwein mit exzellentem Wirsing (18.50 DM).“ Und so weiter und so weiter schnorren und schlabbern, schlemmen und schlürfen sich die AutorInnen quer durch 88 Berliner Nobelkaschemmen, häufen Entenleber auf Mango-Parfait, ummänteln das Kartoffelgratin mit flotten Sprüchen zum Ambiente.
Nein. Jonny, laß sein. Ich spendier' Dir einen Kaffee am Bahnhof Neukölln: Den gibt uns die Ex- Kollegin umsonst – und als Zugabe zwei karge Worte ohne Zauber für drei weitere Stunden.
Elisabeth Binder/Bernd Matthies, „Restaurants in Berlin – Von Tisch zu Tisch“. Argon Verlag, 192 Seiten, 19,80 DM.
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