: Mulroneys Rücktritt lehrt Kanadas Opposition das Fürchten
■ Der Premier geht, seine Konservative Partei schöpft neue Hoffnung/ Rezession brachte Minusrekord an Popularität
Ottawa/Berlin (dpa/AP/wps/ taz) – Seine beiden haushohen Wahlerfolge 1984 und 1988 waren beispiellos in der 125jährigen kanadischen Geschichte – sein Absturz in der Gunst der Kanadier war es auch. Am Mittwoch erklärte der kanadische Ministerpräsident Brian Mulroney nach fast neunjähriger Regierungszeit seinen Rücktritt und beendete damit monatelange Spekulationen um seine Zukunft. In einem Brief an den Präsidenten der Konservativen Partei, Gerry Saint-Germain, schrieb der 53jährige: „Es ist jetzt für mich angezeigt, zurückzutreten. Es ist Zeit für die Partei, einen neuen Führer zu wählen.“
Die hohe Arbeitslosenquote, ein Rekordanstieg bei Firmenpleiten, die massive Staatsverschuldung und ein unklares Konzept, wie die Wirtschaft aus einer dreijährigen Rezession herauszuführen sei, haben Mulroneys Ansehen bei der Bevölkerung auf ein Rekordtief fallenlassen, seine Popularität sank auf vor ihm nie erreichte zwölf Prozent. Er hatte gegen den Widerstand der meisten Kanadier und der Gewerkschaften den Freihandelsvertrag mit den USA durchgesetzt, dem jetzt das Dreierbündnis mit Mexiko folgen soll. Außerdem versuchte er, durch Einführung einer äußerst unpopulären Mehrwertsteuer auf Güter und Dienstleistungen das Defizit im Staatshaushalt in den Griff zu bekommen. Der Erfolg dieser Schritte ist zweifelhaft: Kanada erholt sich nur langsam von einer nahezu dreijährigen Rezession. Die Inflationsrate sank zwar auf zwei Prozent, die Arbeitslosigkeit liegt jedoch immer noch bei über elf Prozent.
„Ich habe das Beste für mein Land getan“, sagte Mulroney bei einem kurzen Auftritt vor der Presse in Ottawa und verteidigte die Politik seiner Regierung. Mulroneys Nachfolger, davon ist er überzeugt, wird zugute kommen, daß dem stark von den USA abhängigen Kanada im Schatten des übermächtigen Nachbarn nun eine konjunkturelle Erholung bevorsteht, was die Wähler milder stimmen dürfte. Ökonomen gehen außerdem davon aus, daß die Wirtschaft des Landes von den einschneidenden Reformen Mulroneys, die die Kanadier jetzt schmerzhaft zu spüren bekamen, langfristig profitieren wird.
Der größte Mißerfolg des Premierministers in neun Jahren Amtszeit war das Scheitern von zwei Anläufen zu einer Verfassungsreform, mit der das französischsprachige Québec eine beschränkte Autonomie und die Ureinwohner eine Selbstverwaltung bekommen sollten. Vor allem das erste dieser Probleme liegt unerledigt in einer Schublade, die niemand derzeit aufziehen möchte.
„Lying Brian“
Brian Mulroney stammt aus armen Verhältnissen. Der Jurist errang 1983 mit knapper Mehrheit den Parteivorsitz der „Progressiv-Konservativen Partei“. Im selben Jahr wurde er bei Nachwahlen in das kanadische Parlament gewählt. Doch das Siegerlächeln nach dem bis dahin größten Wahlerfolg der Partei verging Mulroney bald: Mit dem Vorwurf von Vetternwirtschaft – aus seiner Universitätsclique holte er zahlreiche Freunde in hohe Ämter – machte das Wort vom „Lying Brian“ (Lügender Brian) die Runde. Die Schwierigkeiten zu Hause ließen ihn Ruhm in der Weltpolitik suchen und machten gleichzeitig seine Hoffnungen auf größere Erfolge zunichte: Nur vorübergehend wurde er 1991 als Kandidat für den Posten des UNO-Generalsekretärs gehandelt, trotz angeblicher Unterstützung durch Gorbatschow, Bush, Mitterrand und Major.
Nach der kanadischen Verfassung kann Mulroney so lange im Amt bleiben, bis ein Parteitag vermutlich im Juni einen Nachfolger bestimmt. Als Kandidaten für seine Nachfolge sind Verteidigungsministerin Kim Campbell, Handelsminister Michael Wilson, der Minister für das Fernmeldewesen, Perrin Beatty, und Umweltministerin Jean Charest im Gespräch.
Für die liberale Opposition ist der Rücktritt nicht unbedingt eine gute Nachricht. Sie führte bisher mit weitem Vorsprung in den Meinungsumfragen vor den Tories, die auf 21 Prozent zurückfielen, was aber zum großen Teil auf die Unbeliebtheit Mulroneys zurückzuführen war. Viele Strategen der Konservativen Partei hatten Mulroney daher gedrängt, zurückzutreten. Mit einem neuen Gesicht an der Spitze rechnen sie sich bessere Chancen bei den Parlamentswahlen aus, die spätestens im Oktober stattfinden müssen. nig
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