: Antiolympia-Satire oder Latrinenszene?
■ Video erhitzt Berliner Parlament und sorgt für Krach zwischen Grünen und B90
Berlin (taz) – Auch nach Ende der Berlinale macht Berlin als Filmstadt von sich reden. Für Furore sorgt ein zehnminütiges Video, mit dem die Olympiagegner der Stadt die 94 Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) davon abhalten wollen, die Spiele im September 1993 in die deutsche Hauptstadt zu vergeben. Eine Schlußsequenz, in der ein Vermummter einen Stein in der Hand hält und aus dem Off eine Stimme erklärt: „we will wait for you“, beschäftigte gestern sogar das Berliner Abgeordnetenhaus. Die Olympiabefürworter in den beiden Regierungsparteien SPD und CDU fürchteten um die negative Wirkung, die von den Bildern auf die IOC-Entscheidungsträger ausgehen könnte. Einige bangten gar um das Image Berlins als zukünftigem Sitz von Bundesparlament und -regierung, sollte sich erweisen, daß Berlin nicht in der Lage sei, seine Gäste zu schützen. Der sportpolitische Sprecher der CDU, Manfred Preuß, sah gar in dem filmischen „Stück aus der Latrinenszene“ eine „Strategie gegen Berlin insgesamt“.
Besonders ereiferten sich die Olympiaprotagonisten darüber, daß ein Mitglied der Grünen, deren sportpolitische Sprecherin Judith Demba, Mitautorin des Videos ist. Sie wurde bezichtigt, sich zur Handlangerin eines Gewaltkartells gemacht zu haben, dessen Ziel der Kampf gegen die Bewerbung für die Olympischen Spiele sei. Preuß bezichtigte Demba der Arbeitsteilung mit den unbekannten Autoren eines „Aktionspapiers“, das in der Stadt kursiert und in dem der „Widerstand auf militanter Ebene“ gefordert wird. Unter anderem wird darin empfohlen, „den korrupten Geldsäcken (des IOC, d. Red.) die Fresse zu polieren“.
Wegen des Videos sah sich Demba allerdings nicht nur heftigen Angriffen der Regierungsparteien ausgesetzt. Auch beim Bündnis 90 regte sich heftige Kritik. Man könne nicht, so erklärte dessen Landesgeschäftsführer Michael Wartenberg, „Gewaltlosigkeit propagieren und dann implizite Gewalt, wenn sie in den Kram paßt, verniedlichen“. In Richtung Grüne, mit denen sich das Bündnis 90 noch im Vereinigungsprozeß befindet, machte er deutlich, daß es um ein gemeinsames Politikverständnis gehe. Die Grünen halten trotz der Kritik an Demba fest. Sie lehnten die Bündnis-Forderung, die Abgeordnete als sportpolitische Sprecherin abzulösen, ab, wollten allerdings das Video als deren Privatangelegenheit behandelt wissen. Demba erklärte gestern vor dem Abgeordnetenhaus, daß sie es richtig finde, daß die IOC- Mitglieder mit dem „satirischen Streifen“ auf einige Schattenseiten Berlins aufmerksam gemacht werden. Sie glaube auch daran, daß die Verschickung eines Videos eine gewaltfreie Aktion sei. Allerdings hätten sich die Macher jetzt entschlossen, „den Film in einer Form zu ergänzen, die die Satire unübersehbar macht“. Dieter Rulff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen