: Doppeldeutsche Zitate
■ Viel Lärm um nichts - oder Polemiken eines Hobby-Historikers: Rolf Hochhuths 'Wessis in Weimar–im Ernst-Deutsch-Theater
im Ernst-Deutsch-Theater
Die beste Inszenierung - trotz Yves Jansen in Hamburg und auch trotz Einar Schleef in Berlin - hat Rolf Hochhuth selbst geliefert: dem größtmöglichen Publikum, dem Medienpublikum. Journalisten, Theaterleute und Politiker haben ihm dabei geholfen. Zur „eigentlichen Uraufführung“ (Hochhuth) der Wessis in Weimar am Hamburger Ernst-Deutsch-Theater war der Autor erschienen, traute sich jedoch nicht auf die Bühne, um den nur mäßigen Beifall zu empfangen.
Die „Szenen aus einem besetzten Land“ hatten bereits für viel Wirbel gesorgt. Erster Akt der Hochhuth-Inszenierung war ein Interview im Hochsommer und ein Auszug des Stückes, in dem eine junge Frau den Mord an Treuhandpräsident Rohwedder vorhersieht und begründet. Kohl und Blüm sprachen vom „intellektuellen Schmierestehen für einen Mörder“. Den Rest besorgte der Trubel um die Uraufführung durch Einar Schleef am Berliner Ensemble. Erst wollte Hochhuth sie verbieten lassen, dann bestand er lediglich auf die kostenlose Ausgabe seines Textes ans Premierenpublikum. Werbefeldzug eines Wessis.
Mit Yves Jansen zeigte sich der Autor zufriedener. Der junge Schweizer hat die acht voneinander unabhängigen Szenen, Pamphlete, Polemiken, Stellungnahmen zur Treuhand eins zu eins auf die Bühne gebracht. Artig, teilweise spannend, sprechen die Schauspieler Hochhuths journalistische Dialoge. Immerhin schimmern manchmal Figuren durch hinter den sprachlich uniformen Meinungsträgern des Hobby-Historikers. Leichtfüßig werden Scheinfakten über die Abwicklung durch die Treuhand ausgestreut, nebenbei wird kultur- und republikhistorische Nachhilfe geboten: Bismarck, Hitler, Kinkel oder Schiller...
Egal ob alte Ostbauern, neureiche Wessis oder Journalisten auf der Bühne stehen, die Handlungen und Personenkonstellationen sind stets nur Vehikel zur Anklage Ost gegen West. Das zeigt sich nicht zuletzt dadurch, daß mit Vorliebe auf der Bühne telefoniert, monologisiert und diktiert wird.
Richtig unangenehm ist Hochhuth, wenn er rührselig wird: Dem alten Ehepaar (Ingrid Stein, Fred Kretzer), das vom Hof vertrieben wurde, bleibt nurmehr der pathetische Opfertod per Strick. Leider verstärkt Jansen die salbungsvolle Tat durch Langatmigkeit. Andere Szenen, wie der Besuch der kauflustigen Wessis im Goethehotel, stattet er mit mehr Tempo aus. Edda Pator, Isabella Vertes und Ulli Lothmann gelingt es in verschiedenen Rollen Witz und Schärfe auf die Bühne zu bringen.
Die Szene zwischen dem Treuhandpräsident (Peter Gross) und der jungen Hildegard zeigt Jansen unemotional – weise Zurückhaltung des Regisseurs? Sicher könnte man ihm die Frage stellen, warum er nicht - ähnlich wie Schleef - das Stück auseinandernimmt, durch Abstraktion und Dekonstruktion Theater entstehen läßt. Sein Versuch, in Hochhuths Sinn zu inszenieren gelingt ihm eben so gut, wie das Stück es zuläßt.
Daran Anteil hat übrigens auch Reinhard Wolff: Er bestückte die Bühne nur mit den jeweils nötigen Requisiten, ansonsten prägten große Bildprojektionen die Szenen: Häuserfassaden, Lenin, abgeholzte Bäume oder braches Land - Ossiland. Kein Gelsenkirchener Barock. Die Umbauten nutzt Jansen noch für eine kabarettistische Einlage:
1Dieser unser Bundeskanzler fährt auf einer Art Schiebetribüne oberhalb über die Bühne. Kohl-Zitate zur Lage der doppeldeutschen Nation: „Es wird keinem schlechter
1gehen.“ Hier wird das Grundproblem von Hochhuths Theater deutlich: Zitate und politische Aussagen statt dramatische Kunst. Niels Grevsen
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