: Ökologische Folgen der Eindeichungen an der Unterelbe
■ Aus Angst vor Überschwemmungen machte man aus einer "amphibischen Wildnis" eine Steppe - mit katastrophalen Folgen für Fauna und Flora
für Fauna und Flora
Eine „ökologische Katastrophe“ nennt Uwe Westphal vom Naturschutzbund die Eindeichungen an der Unterelbe. Der Hamburger Biologe hat die Wedeler Marsch in den letzten Jahren intensiv untersucht und festgestellt, daß die Bestände von Wiesenvögeln seit Ende der 70er Jahre „dramatisch zurückgegangen“ sind. Zurückzuführen sei dieser Schwund darauf, daß die regelmäßigen Überflutungen ausbleiben, so Westphal. Aus einer „amphibischen Wildnis“, die mehrmals im Jahr bei jedem größeren Hochwasser überspült wurde, sei eine knochentrockene Gegend mit Steppencharakter geworden. Risse und Spalten tun sich auf. Für die Schnepfenvögel, die mit ihrem langen Schnabel nach Futter suchen, ist der Boden einfach zu hart geworden. Vor der Eindeichung war das Erdreich durch den hohen Grundwasserspiegel „weich und stocherfähig“. Der Wassermangel in der Marsch hat aber noch andere Folgen. Sehr zur Verwunderung der Wedeler Bauern sind dort die Grundpfähle der mittelalterlichen Hatzburg aus dem zusammengesackten Boden zu Tage getreten.
Das Gras wächst, früher gebremst durch die oft wochenlang dauernde Frühjahrsflut, heute schneller. Zu hoch für Vögel, die am Boden brüten. „Wenn der Kiebitz nichts mehr sehen kann, gibt er auf“, sagt der Biologe. Außerdem finden die Vögel wegen der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung kaum noch Nahrung. Und wo die Blütenpflanzen fehlen, bleiben auch die Insekten aus. „Die Uferschnepfen lassen ihre Jungen im Stich, wenn sie keine Nahrung finden.“ Auch typische Gewächse, wie Wiesenschaumkraut und Sumpfdotterblumen, die „mit den Füßen im Wasser stehen“, sind heute fast völlig verschwunden, beklagt der Naturschützer. „Die Marsch ist großflächig verödet“.
Wie in Wedel sieht es im gesamten Unterelberaum aus, einst kilometerbreite Vorländereien in der Haseldorfer Marsch und vor der Ostemündung sind durch die Eindeichung auf schmale Streifen geschrumpft. „Die Lebensgemeinschaft hinterm Deich wurde nahezu vernichtet“, stellt Westphal fest.
Die Hetlinger Binnenelbe und Wedeler Au wurden von der Binnenelbe durch ein Sperrwerk abgeschnitten und sind zum Stillgewässer geworden. Die Wiedereröffnung der Elbe-Nebenflüsse und die Rückverlegung der Deiche wären vor allem aus ökologischer Sicht sinnvoll. Große Überschwemmungsflächen wären Rückzugsräume für Pflanzen und Tiere und auch für das Hochwasser bei Sturmfluten.
In Einzelfällen wie an der Spadenländer Spitze wird heute auch in der Baubehörde über Deichrückverlegung diskutiert. Das zeige, daß ökologische Aspekte bei den Deichbauingenieuren nicht mehr grundsätzlich abgelehnt werden, so Manfred Prügel vom Naturschutzbund, aber „es wird vieles als ökologisch verkauft, was bei näherem Hinsehen dem Anspruch nicht gerecht werden kann“. Ein Deich sei halt immer ein technisches Bauwerk und ein Eingriff in die Auenlandschaft des Flusses. VM
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