: Fader Champagner
Klaus Michael Grüber hat Verdis „La Traviata“ am Pariser ChÛtelet inszeniert ■ Von Birgit Meilchen
Es gibt nicht viele Lichtblicke an diesem Abend auf der Bühne. Aber einer hat von Anfang bis Ende alles überstrahlt: Veronica Villarroel. Als Violetta in Verdis „La Traviata“ konnte sie der tristen, langatmigen Regie von Klaus Michael Grüber am Pariser ChÛtelet etwas von der Spannung wiedergeben, die die Oper bis heute so populär macht.
Dabei verkörpert die junge Chilenin nicht unbedingt das Bild jener schwindsüchtigen Lebedame, die ruiniert, verbraucht und ausgebrannt durch ihren ausschweifenden Lebenswandel in den Pariser Salons des 19. Jahrhunderts mit 22 Jahren an Tuberkulose stirbt. Veronica Villarroel ist von barocker Üppigkeit, mit herrlichem Dekolleté. Aber ihrem brillanten Gesang gelingt es, die kapriziöse Persönlichkeit Violettas schillernd in all ihren Facetten auszudrücken. Eine Stimme, die mühelos in Sprüngen und Koloraturen glänzt, stets treffsicher intoniert und immer fein und zart dynamisch schattiert. Sie läßt vorübergehend vergessen, welch müdes Trauerspiel Grüber inszeniert hat.
Wie ist das möglich, eine so schleppende „Traviata“? Dabei hat man sich viel versprochen vom metteur en scène Klaus Michael Grüber, zählt er doch zu den renommiertesten Theatermännern unserer Zeit. Seine „Traviata“ hat wenig zu tun mit dem lebendigen, farbigen Stoff.
Die literarische Vorlage „La Dame aux camélias“ von Alexandre Dumas setzt ein Denkmal für Marie Duplessis – so ihr wirklicher Name. Diese Königin der Pariser Kurtisanen scheiterte an ihrer Liebe und an den unüberwindlichen Schranken einer bürgerlichen Gesellschaft.
Giuseppe Verdi vertonte das Werk wie ein intimes Kammerspiel. Musikalische Dialoge entfalten die Handlung, das eigentlich Dramatische verlagert sich in die „innere Bewegung“ der Beteiligten. Alles Geschehen kreist um Violetta und ihr Schicksal: Liebe, Verzicht, Tod.
In der Oper wandelt sich die Protagonistin von der „Ware“ zum Menschen, vom Liebesobjekt zum liebenden, zu sich selbst gekommenen Subjekt. Zwei Aspekte sind entscheidend: Violetta ist einerseits eine femme entretenue, eine ausgehaltene Frau, einem genußsüchtigen, glänzenden Lebensstil verfallen, andererseits ist sie im tiefsten Innern eine unberührte Seele, die zum ersten Mal die wahre Liebe kennenlernt und erwidert. Zwischen diesen beiden Polen entwickelt sich das musikalische Drama. Was macht Grüber daraus?
Der Vorhang gibt eine enge Bühne frei. Vier spärliche Lämpchen blicken mit gelben Augen ins Publikum. Zwei schwarze Männergruppen drängen sich rechts und links ganz nah am Orchestergraben. Weiß und glitzernd hebt sich Violetta auf der einen Seite ab, auf der anderen hält eine schöne Nackte mit gekreuzten Händen ihre Scham bedeckt. Wir sind im Salon Violettas, mitten in einem Fest. Aber seltsam, davon merkt man nichts. Bewegungslos, freudlos sind alle in diesem Halbdunkel. Die Szene bleibt starr, auch als Alfredo (Jean-Luc Viala) das Trinklied anstimmt, auch als die Gäste zum Tanz gehen. Und in der zärtlichen Schlüsselarie, als Alfredo Violetta seine Liebe offenbart, wendet er sich ab, dreht er ihr den Rücken zu.
Doch was ist mit den schwungvollen Walzern, dem rauschenden Fest, dem Champagnerprickeln, das die Musiker unter Antonio Pappanos Anleitung con brio vermitteln? Der Regisseur zeigt nur die Einsamkeit der Menschen, die Hohlheit und Leere, die hinter all dem Glanz und Glitter steht. Aber der von Beginn bis Ende durchgehaltenen Szenerie fehlt es an Kontrast und Konfrontation. Die frivole Leichtigkeit des gesellschaftlichen Spiels ist entscheidend als Konfliktpotential für die innere Tragik des Stücks. Denn nur durch die Kluft zwischen der illusorischen Außenwelt und – quasi als Gegenspiegelung – der Introspektive der Akteure erklärt sich dieses psychologische Drama.
Die frostige Atmosphäre gleitet nahtlos über zum zweiten Akt, dem großen Duo Violetta/Germont. Hier verbirgt sich der soziale Sprengstoff der Oper: Alfredos Vater drängt Violetta, ihre Liebe zu verleugnen, damit Alfredo sie verstößt und so die Ehre der Familie Germont rettet.
Abseits, im Schatten eines trüben Lichts, fordert der Vater das grausame Opfer. David Pittmann- Jennings, ohne Geste, aber auch ohne einen Funken von Passion, wirkt so spannungslos wie die Bühnendramaturgie. Da ist nichts von der Wandlung zu spüren, die Germont erfährt: vom vorwurfsvollen Kleinbürger zu einem Mann, der nach und nach Bewunderung und Achtung für Violettas Haltung empfindet.
All dies verblaßt gegenüber der bewegenden Partie Veronica Villarroels im Schlußakt, der nach der gähnenden Tristesse so etwas wie eine kleine Entschädigung ist. Sie liegt schon auf dem Sterbebett. Noch einmal zeichnet sie ein letztes Bild einer verlorenen Heldin: Der Bühnenraum ist weit und leer, im Hintergrund schwach erleuchtete Fenster vor blätterlosem Geäst, das wie unheimliche Fangarme scheint. In schwarzem Samt und totenblaß entäußert hier eine großartige Sängerin ihre Seele, bevor sie der niederfallende Vorhang erdrückt.
Verdis „La Traviata“ im Pariser ChÛtelet. Inszenierung: Klaus Michael Grüber, musikalische Leitung: Antonio Pappano, Ausstattung: Lucio Fanti, Kostüme: Rudy Sabounghi. Mit Veronica Villarroel, Jean-Luc Viala, Elizabeth McCormack. Weitere Vorstellungen: 27.2., 1. und 2.3.
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