: Der alte Mann und der Teufel
Ein Porträt des Schlesiers Horst Eckert, der kein anderer ist als der berühmte Kinderbuchautor und Kirchenhasser, Romancier und Weiberheld, Lebenskünstler und Trunkenbold „Janosch“ ■ Von Bascha Mika
Kennen Sie Horst Eckert? Nich? No, macht nix, werdän Sie kennenlernen. Es ist das Jahr 1931 im oberschlesischen Zabrze. Die Welt rundherum glitzert, daß man es für Diamanten halten könnte, dabei ist es nur Kohlestaub. Der sitzt überall, den bringen die Männer mit aus der Grube und in die Grube fahren fast alle hier. Die Bergarbeitersiedlung riecht nach Brotsuppe mit Knoblauch, nach Preßtabak und nach den Latrinen hinter den Häusern. In jeder Stube mit Küche und Kammer lebt eine Familie mit manchmal zehn Kindern, auf jeder Etage gibt's einen Ausguß und hinten im Hof den Karnickelstall. Vater Eckert arbeitet auf der Hütte, später schafft er sich einen Bauchladen an. Weil er das Horst-Wessel-Lied so schön findet, läßt er seinen Sohn auf den Namen Horst taufen.
„Jeronniä“ fluchen die Männer, wenn sie von der Schicht kommen, was man nicht übersetzen kann, weil es halb polnisch, halb deutsch ist. Die Schlesier sind von beidem immer gerade das, was ihnen günstiger erscheint. Die Frauen setzen ihnen Stampfkartoffeln mit Buttermilch vor und denken sich manchmal: „Das ganze Leben ist Mist, aber dann möchte man sich wieder auf die Erde setzen und sich vor Freude ins Hemd weinen“. Haben die Männer Geld in der Tasche, trinken sie Bier, manchmal auch Schnaps und sind sie erst besoffen, prügeln sie Frauen und Kinder und wenn sie nüchtern sind, prügeln sie auch. Am Sonntag gehen alle in die Kirche.
„Dort hab' ich die Furcht gelernt“, sagt Horst Eckert heute, „die Kindheit war das größte Unglück meines Lebens. Besser, man hätte mich abgetrieben.“ Die Mutter schlug ihn, bis er liegenblieb und keine Luft mehr bekam. Erst Jahrzehnte später lernte er, wieder frei zu atmen; seit dem ist es seine „Lieblingsbeschäftigung“. Aber schlimmer war die Angst vor dem Teufel. „Der Satan tauchte auf, leibhaftig sah ich ihn vor mir im Zimmer stehen. Ich habe nur noch gewimmert vor Angst.“
Inzwischen ist Horst Eckert ein berühmter Geschichtenerzähler und Maler, ein Kinderbuchautor und Auflagenmillionär, ein schlitzohriger Geschäftsmann und angebitterter Lebenskünstler. Doch er kämpft noch immer gegen den Teufel.
Seinen Namen hat er zeitlebens gehaßt und sich nach einer durchsoffenen Nacht einen anderen zugelegt: Janosch.
An den Armen wäre er gern etwas muskulöser, hat Janosch einmal verraten, weil er als Kind immer ein Schwächling gewesen sei. Auf den ersten Blick ist von dieser Schwäche nichts mehr zu spüren. Janosch steht locker herum, die Schultern leicht hängend, Standbein, Spielbein. Die langen Gliedmaßen, in der bequemen, leicht abgeschabten Kleidung, bewegt er ganz lässig – als hätte es die verkränkelte, verprügelte Kindheit in Zabrze nie gegeben und er sich schon immer wohl gefühlt in seiner Haut.
Groß ist er geraten, über einen Meter neunzig, eigentlich zu groß für einen Schlesier. Die sind eher von der kleinen und viereckigen Sorte, was daran liegt, daß sie meist schuftend mit der Schnauze im Dreck liegen. Das hat Janosch nie gewollt. Künstler sei er geworden, weil er nicht so hart arbeiten mochte – behauptet er, der in gut dreißig Jahren mehr als 160 Bücher produziert hat. Das Geld sei ihm dabei nur wichtig gewesen, als er noch keins hatte – behauptet er, der mit dem, was er erwirtschaftet hat, „jetzt noch bequem drei Leben lang leben könnte“.
Wenn man ihn so anschaut, die blauen Augen und den Seehundbart, sieht er da nicht aus wie Popov? Popov ist einer der wenigen Menschen, die in Janoschs Kindergeschichten mitspielen dürfen. Popov ist der Freund von dem Kater Piezke und Popov kann fliegen. Popov kann, was Janosch sich immer gewünscht hat: „Man muß den Geist befreien, damit er fliegen kann.“
Offenbar muß jetzt auch Janosch seinen Geist befreien. Und das tut er lauthals. 61 Jahre hat er gebraucht, bis er kürzlich anfing, unverhohlen gegen die katholische Kirche zu wettern. „Ich krieg einen Adrenalinstoß, wenn ich nur an die Kirche denke, da wird mir sofort übel. Die Kirche ist ein reines Geschäftsunternehmen,“ verkündet er, „das nichts als Macht und Geld sucht.“
Verhohlen gegen die Kirche gewütet hat Janosch schon immer. Sein „Cholonek“ – aus „Cholonek oder Der liebe Gott aus Lehm“ (1970) – wird mit dem Teufel und Weihwasser großgezogen. In „Polski Blues“ (1991) geht es um einen falschen Priester und das wahre Abendmahl. Doch erst in seinem neuesten Werk und ersten Theaterstück – „Zurück nach Uskow oder Eine Spur von Gott“ (1992) – holt er endgültig zum Schlag gegen das Kreuz aus. Steiner, der Steinmetz aus dem schlesischen Uskow, ist mit der Furcht vor Gott aufgewachsen und sie Zeit seines Lebens nicht losgeworden. „Die Gebote waren auswendig zu lernen,“ berichtet Steiner, „vorerst zehn. Die Übetretung bedeutet die Hölle, denn Gott hatte den Teufel geschaffen, um den Sünder zu strafen.“ Jetzt geht es bei Steiner ans Sterben. Doch mit der Angst und dem Haß, der aus der Angst geworden ist, will er nicht abtreten. „Denn das Leben muß dir am Ende geglückt sein.“
Janosch beschreibt Steiners Kindheit wie die des Cholonek. Deckungsgleich bis in die Formulierungen. Und beide Figuren, sagt Janosch, „sind total autobiographisch; ,Zurück nach Uskow‘ ist meine veritable Lebensgeschichte“.
Als er noch jung und ein „Schwächling“ war, arbeitete Janosch in einer Schmiede. Davor war er sieben Jahre in der Schule. Die Arbeit war kaum auszuhalten, aber noch weniger die ständige Angst vor „dem da oben“ und so soff er. Mit 13 Jahren bereits mehr als sein Vater. „Die Leute in Polen,“ behauptet er, „leben in ständiger Verzweiflung. Sie wissen nicht, woher sie kommt, aber sie ertragen es leichter im Suff.“ Janosch glaubt zu wissen, woher die Verzweiflung kommt: weil sie Gott als den großen Rächer mit sich herumtragen.
1946 siedelte er mit seiner Familie in die Bundesrepublik um. „Alle Schlesier sind dumm,“ sagt er, „ich konnte damals kaum lesen und schreiben“. Alles, was er heute kann, hat er sich mühsam selbst beigebracht; ein Intellektueller ist er dabei nicht geworden, er hat aus dem dürftigen, melancholischen schlesischen Erbe das Beste gemacht. Diesen merkwürdig schiefen, gebrochen-idyllischen Kinderton zum Beispiel, der leicht ungelenk daherkommt und zu seinem Markenzeichen geworden ist. Vielleicht weigert er sich deshalb, Reden zu halten, oder aus seinen Büchern zu lesen. „Ich kann nicht vorlesen, das versaut nur die Stimmung und eine Rede hab ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehalten.“
Bis 1949 arbeitete er in Textilfabriken in Oldenburg, lernte dann ein bißchen Musterzeichnen, begann Hemdenstoffe zu entwerfen – soff und fürchtete sich. Mit 22, sagt Janosch, hätte er noch keine nackte Frau gesehen. Denn die Sünde der „Unkeuschheit“ war die schlimmste. Als er schließlich in einem Kunstband entdeckte, was ihm entgangen war, wurde er zum „Sexomanen“.
In seinen neoromantischen Kinderbüchern, in denen er die Kleinen mit der sanften, subversiven Macht der Phantasie verführt und die Großen in ihrer sentimentalen Seele anrührt, lebt er sein schweinigeliges Bedürfnis heimlich aus, die Nebenfiguren am Rande der Blätter treiben es bunt. Doch in erotischen Liebesbrevieren und in seinen Bukowski-Illustrationen tobt er den Wunsch nach gemeinen Büchern, nach Zynismus und Obszönität ganz offen aus.
Und seinen Chauvinismus, der angeblich auch ein Produkt der Kirche ist. „Die Weiberfeindschaft ist katholisch,“ predigt er, „denn die Kirche bringt einem bei, daß alles Böse vom Weib kommt.“ Trotz jeder Menge kaputter Beziehungen – „ich möchte keiner meiner Ex-Freundinnen noch einmal begegnen“ – bedrückt ihn das aber nicht. Stattdessen kokettiert er: „Vor 20 Jahren war ich ein Chauvinist, heute bestehe ich darauf, ein Weiberfeind zu sein.“
Mit Anfang 20 wollte Janosch Maler werden, wanderte nach München, um an der Kunstakademie zu studieren. Zwei Semster durfte er probieren, dann mußte er wieder gehen. „Bin rausgeflogen, weil ich völlig unbegabt war,“ sagt er heute ohne Rührung, „erst seit fünf Jahren kann ich ein bißchen zeichnen.“
Er biß sich durch, lebte mehr schlecht als recht, veröffentlichte 1960 fast zufällig sein erstes Kinderbuch – fürchtete sich und soff weiter. Auch noch, als er schon längst Erfolg hatte, sich prächtig vermarktete und mit seiner schlesischen Bauernschläue 'zig Verleger in die Verzweiflung trieb. „Ich konnte über Jahrzehnte nicht richtig begreifen, was mit mir los war, doch ich zerstörte mich systematisch selbst.“ Und Schuld war natürlich die Religion.
Mit Ende vierzig kam der Zusammenbruch. Leber, Magen, Gelenke, alles kaputt. Auf dem Krankenbett wurde Janosch fernöstlich erleuchtet. Er raffte sich auf, verabschiedete sich von seiner Vergangenheit (und der Steuerfahndung) mit einem großen Freudenfeuer, das seinen Münchner Besitz auffraß. Er zog nach Teneriffa. Zen und die „fast unbegrenzte Seligkeit“ warteten dort auf ihn.
Doch den Teufel wurde er auch auf der Insel nicht los. „Heute kann ich so leben, daß ich mir sage: Wenn es so kommt ist es gut, kommt es anders herum ist es auch gut. Nur mit der Kirche will mir das noch nicht gelingen.“ Erst als seine Mutter vor kurzem starb – „der wollte ich das nicht antun“ – traute er sich, seine simple Lebensbotschaft zu verkünden: „Ein Katholik ist immer ein armes Schwein.“ So kämpft er weiter gegen dieses Gespenst. Denn sein Leben soll ja am Ende geglückt sein.
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