Stasi-Tschekisten als Filmemacher

Die Gauck-Behörde zeigt erstmals Schulungsfilme der Stasi/ Bigbandmusik, „parteiliche Erziehungsarbeit im Dienstkollektiv“ und der Tod eines „Terroristen“  ■ Aus Berlin Wolfgang Gast

Was es heißt, „in Zeiten des Friedens nach den Gesetzen des Krieges zu leben“, durften am Donnerstag abend mehrere hundert BesucherInnen im überfüllten Kinosaal der Gauck-Behörde erleben. Nur wenige Meter vom Checkpoint Charlie – Symbol des Kalten Krieges – entfernt, zeigten die Nachlaßverwalter der Stasi erstmals Schulungsfilme aus Mielkes Ministerium. Die legendäre Nahtstelle zwischen Ost und West ist auch Handlungsort in einem der Streifen. Darin rühmen sich die Grenzwächter, einen Terrorakt vereitelt zu haben.

In dem Schwarzweißfilm, der 1974 auf „Anregung der Kreisdelegiertenkonferenz der SED im MfS“ zustande kam, werden die Stasistars befragt, wie es ihnen denn ergangen ist, als sie einen bewaffneten Mann erschossen, der über den Checkpoint nach Westberlin flüchten wollte. Bigbandmusik untermalt die Abfertigung des Grenzverkehrs, ein blondes Geschöpf in Uniform weiß zu berichten, daß der Klassenfeind überhaupt nicht zu schlafen gedenkt – daß das dreiminütige „besondere Vorkommnis“ so hervorragend „abgewehrt“ wurde, ist der „parteilichen Erziehungsarbeit im Dienstkollektiv“ geschuldet. Der Betrachter schwankt zwischen Amüsement und blanken Entsetzen ob der verwendeten stilistischen Mittel. Der Schütze, der den „Terroristen“ niedergestreckt hat, gesteht auch noch ein, ihn habe „ein Gefühl des Glücks“ überkommen, als er seinen Genossen Kollegen aus der Gewalt des Grenzverletzers rettete. Man glaubt sich in eine schlechte Klamotte versetzt.

Vergegennwärtigt man sich aber, daß der Vorfall am 5. Januar 1974 tatsächlich geschah, der Knoten im Magen folgt unweigerlich. Der „Terrorist“ hieß Burkhard Niering. Daß er Anwärter der DDR-Bereitschaftspolizei war, wurde ebenso wie sein Name unterschlagen. Über den Vorfall wurde seinerzeit sogar Honecker unterrichtet. Lapidar heißt es in einem als geheim deklarierten Bericht: „Nach Auslösung des Alarms konnte der Täter durch die Anwendung der Schußwaffe von zwei weiteren Angehörigen der Paßkontrolleinheit verletzt festgenommen werden... Gegen 21.05 Uhr verstarb der Täter.“

Behördenchef Gauck hatte eigangs der „Banalität und Schrecken“ getitelten Veranstaltung vor „cineastischen Erwartungen“ zu Recht gewarnt. Erinnerungen an den „schwarzen Kanal“ bleiben dennoch unausweichlich, wenn etwa im Streifen „Eva“ gezeigt wird, wie eine Inoffizielle Mitarbeiterin dem westlichen Luxus verfällt. Weil sie ihre „tschekistische Pflicht“ vernachlässigt, wird sie Opfer des Feindes. Der Westen ist, wie wir sehen, Karstadt, schwere Klunker und Ketten, halbseidenes Milieu. Garniert mit dem Hinweis, daß der soziale Verfall an jeder Ecke lauert, symbolträchtig dargestellt durch einen Stadtstreicher. Am Ende vereitelt die Stasi heroisch die Flucht des IM zu ihrem Liebsten in den schrecklichen Westen. Fürwahr: Banal und erschreckend.