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Liebevolle Umarmung der Musik

■ Ortsbesichtigung: Der Jazz-Club „Be-Bop“ in der Willibald-Alexis-Straße

Vor anderthalb Jahren roch es hier noch etwas modrig. Ein feuchter Kellermief hatte sich von der frischen Tünche nicht so schnell beirren lassen, wie es die beiden Selfmade-Clubbesitzer Sedal Sardan und Satay Tuncay gehofft hatten. Erst das Publikum, das nach und nach zur Erkundungsreise in den jungen, im zeitlosen Trödellook gestylten Kreuzberger Jazzspot aufbrach, sorgte für das vertraute Transpirationsgemisch von Alkohol und Zigaretten – wie es sich eben gehört.

Alles begann vor zehn Jahren, als Sedal Sardan auf Urlaub in seiner Geburtsstadt Ankara war. Ausgerechnet dort machte der damals zwanzigjährige zum ersten Mal Bekanntschaft mit Live-Jazz. Ein lokales Jazzduo spielte in einem jener HighBrow Schicki Clubs, wo die Atmosphäre eher von den Preisen als von der Musik bestimmt wird, und wo die Selektion des Publikums über das Kleingedruckte auf der Getränkekarte funktioniert. Die Musik ließ Sedal nicht mehr los. Und offensichtlich muß der frischgebackene Fan auch auf die Musiker nachhaltigen Eindruck gemacht haben. Aus dem Urlaub wurde schließlich ein dreiwöchiger Kurzlehrgang in Sachen Jazz – die intensive Kommunikation zwischen Musiker und Hörer – ein Idealfall des Jazz irgendwie.

Als Außenseiter fühlt sich Sedal hier mit seinem Kreuzberger Jazz- Club aber nicht, wenn auch die türkische Community zu Berlin nun alles andere als jazzbegeistert genannt werden kann. Von einer eigenen Jazztradition ganz zu schweigen, Özay zählt hier zu den regelbestätigenden Ausnahmen. Mag es daran liegen, daß das Flaggschiff der nationalen Folklore, die Langhalslaute Saz, nur schwer in den Sound des Jazz integrierbar scheint, ohne gleich wieder mit Marketingbindestrichen wie Orient-etwas belabelt zu werden? Daß die türkischen Hochzeitsrhythmen nicht so recht jazzkompatibel anmuten, oder daß während der musikalischen Sozialisation türkischer Jugendlicher das Wort Jazz noch nicht einmal als Fremdwort Erwähnung findet? Kurz: die Lehrer fehlen, „die in unserer Kultursprache eine Bresche zum Jazz schlagen, unser Lebensgefühl mit dem des Jazz verbinden könnten“, meint Sedal. Berührungsängste also, die tief von außermusikalischen Dingen geleitet werden. Manchmal schauen auch türkische Freunde im „Be-Bop“ vorbei und zeigen sich von der Musik begeistert, die sie zu Hause nicht hören werden, wie Sedal zu berichten weiß. Alles brauche seine Zeit.

Samstags immer – zwischen 22 und 24 Uhr – verwandelt sich schließlich der kleine Kneipenraum zum intimen Jazz-Club. Das leidige Problem mit der Lautstärke bemüht sich die Bebop-Crew durch das Pflegen gutnachbarschaftlicher Beziehungen zu bewältigen. Solang es irgend geht, werden die Konzerte stattfinden. Taufpate war schließlich kein geringerer als der Bassist und Komponist Jay Oliver, der inzwischen schon zweimal den Club bespielt hat. Ein gutes Omen vielleicht.

Bei dem afroamerikanischen Baßvirtuosen mit Berliner Wohnsitz nimmt Sedal seit kurzem auch Unterricht. Dessen Sound und Lebenshaltung haben ihn ergriffen. Jay Oliver würde das wahrscheinlich „Acknowledgement“ nennen. Den respekt- und würdevollen Umgang unter Menschen, wie er in der schwarzen Community üblich sein soll: Fremde, die sich begegnen, grüßen einander. „Wir werden erzogen to acknowledge“, erklärte er mir einst. „Acknowledgement“ hat John Coltrane auch jenes musikalische Thema benannt, welches zu einem der eindringlichsten des Nachkriegsjazz werden sollte und als „A Love Supreme“ Geschichte gemacht hat. Voller Stolz zeigt Sedal das Gästebuch des „Be-Bop“ vor. Jeden Musiker bittet er hierin um eine Widmung. Mit bunten Kreiden gestaltet Sedal imaginäre Visualisierungen auf großformatigen Kartons: sie zeugen von den Musikern, die da waren oder es gerade sind. Er weiß, daß das „Be-Bop“ als weitere Auftrittsmöglichkeit für die vielen guten Musiker vor Ort auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein kann.

Aber das immerhin ist möglich, ganz ohne Werbung oder den zermürbenden Seitenblick auf sensationslüsterne Laufkundschaft. Eine bescheidene und liebevolle Umarmung der Musik und ihrer Musiker, die angetreten sind, die Vision einer friedfertigen und offenherzigen Welt hörbar zu machen. Vor Ort, zum Greifen nahe und zum gemeinsamen Bier zwischendurch – „Be-Bop“, eine musikalische Umarmung nach Art des Hauses. Christian Broecking

„Be-Bop“, Willibald-Alexis-Straße 40, Kreuzberg 61, täglich ab 18 Uhr.

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