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Kläranlage

Staatsakt an einer Kloakenmündung  ■ Von Gabriele Goettle

14Uhr, feierliche Übergabe des ausgebauten Klärwerkes durch den Herrn Minister persönlich, steht auf dem Programm. Alles ist vorbereitet, aber die Hauptperson fehlt. Leichter Regen fällt. Die hügelige Landschaft und damit das Klärwerk verschwinden allmählich im grauen Dunst, der vom feuchten Boden aufsteigt. Bürgermeister, Ehrengäste, Ingenieur, Klärwerker und die Herren von der Presse haben sich unter das Vordach des Hauptgebäudes zurückgezogen. Dort stehen sie neben der Sektbar, angeregt plaudernd, eine Hand in der Hosentasche, lachen sonor und wirken wie routinierte Teilnehmer einer gesellschaftlichen Veranstaltung. An sich ist nichts weiter auffallend an den Honoratioren, außer vielleicht, daß sie den pestilenzialischen Gestank, der mit jedem Atemzug den Geruchssinn provoziert, gar nicht wahrzunehmen scheinen. Mit unbeirrbarer Entschlossenheit sehen sie dem feierlichen Akt entgegen, spielen sie ihren Part innerhalb der Aufführung.

Abseits, auf dem Rand eines Klärbeckens sitzend, wartet die Besatzung des Krankenwagens vom Roten Kreuz. Aus dem Sprechfunkgerät in der Manteltasche des diensthabenden Arztes ertönt ab und zu, untermalt von krachenden und piepsenden Geräuschen, eine hektische Männerstimme. Sie berichtet, daß Ministerfahrzeug und Eskorte im Stau steckengeblieben sind und nur schleppend vorwärtskommen. Danach herrscht wieder Stille.

Ich gehe ein wenig umher zwischen den Klärbecken, in denen die kotig-trübe Mischung allmählich durchsichtige Klarheit erhalten soll. Hier steigen Blasen auf, dort wird etwas umgewälzt, undefinierbare Fetzen haben sich in einem rechenartigen Ausleger verfangen, am Beckenrand scheint sich eine Fettschicht eingelagert zu haben. Auf den ersten Blick wirkt alles wohlgeordnet und so, als hätte die Zivilisation hier eine sinnvolle Lösung für ihre Hygieneprobleme gefunden. Die Ergebnisse des Stoffwechsels vieler guter Esser fließen hier zusammen und auch all das andere, was sonst noch seinen Weg durch die Kanalisation nimmt. Sekrete und Ausscheidungen mehrerer Dörfer und einer Kleinstadt werden in ständigem Fluß antransportiert. Niemand muß mehr zur Erledigung „großer Geschäfte“ und „kleiner Bedürfnisse“ hinaustreten ins Freie. Im Hause selbst steht für diesen Zweck bauchige Keramik bereit, durch die mit Hilfe von Wasser alles spurlos hinweggeschwemmt wird. Eine schöne Erfindung, Fallrohr und Kanalisation als soziale Eingeweide, als Darmverlängerung hinaus ins Freie zu verlegen, um die Fäkalien dann durch den Klärwerksanus direkt ins Reinigungsprogramm austreten zu lassen. – Bei genauerer Überlegung fällt aber auf, daß sowohl Wasserklosett als auch unterirdisches Kloakensystem in längst untergegangenen Kulturen des Abend- und Morgenlandes bereits bekannt waren, daß es WC- und Kläranlagen in der heute gebräuchlichen Form, also vom Prinzip her vergleichbar, seit etwa hundert Jahren bei uns gibt. Irgendwas kann doch da nicht stimmen, wenn eine Errungenschaft aus den Zeiten der Entdeckung von Colibakterie, Drehstrommotor und Dampflokomotive in der postindustriellen Gesellschaft immer noch als Meilenstein des Fortschritts gepriesen wird?

Aus der Perspektive eines Bewohners der südlichen Hemisphäre muß es wie Märchen, Lüge oder Wahnsinn aussehen, wenn zum Beispiel die Deutschen Tag für Tag dreieinhalb Milliarden Liter köstlichsten Trinkwassers durch ihre Toiletten davonspülen, es mit Scheiße verquirlen und anderem Unrat, bis es zu einem stinkenden Brei wird, der biochemisch gereinigt werden muß, mit viel Aufwand und ohne Nutzen, außer dem, daß am Ende qualitativ schlechteres Wasser entsteht. Aus dem Sprechfunkgerät des Arztes ertönt die hektische Stimme: „Wir kommen jetzt und fahren ein auf den Parkplatz. Ende.“

Bald darauf erscheint der Minister im Pulk seiner Begleiter. Zum dunkelblauen Anzug trägt er ein türkisfarbenes Seidenhemd mit diskret schräg gestreifter Krawatte, schwarze, auf Hochglanz polierte Lederschuhe und Mittelscheitel. Die nunmehr vollzählig versammelten Herren schreiten zum Rednerpult und als erster ergreift der Bürgermeister das Wort:

„Ich begrüße den Herrn Minister sehr herzlich, den Herrn Kreisbeigeordneten, die Herren vom Wasserwirtschaftsamt, die Herren Stadtverordneten, verehrte Magistratskollegin, meine Herren Ortsvorsteher, ich begrüße die Vertreter der Presse, Herrn Ingenieur M. vom bauleitenden Ingenieurbüro, die Vertreter der ausführenden Firmen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich sehr, daß Sie diese Einladung zur heutigen Einladungsfeier... äh... Einweihungsfeier für die erweiterte Kläranlage so zahlreich angenommen haben...“

Er bezeichnet die Anlage als einen „Meilenstein“ bei den „steten Bemühungen, in unserem Land die Gewässer sauber zu halten“ und übergibt dann zunächst dem Herrn Ingenieur das Wort.

Nach salbungsvoller Einleitung unter zunehmendem Nieselregen fährt dieser fort:

„... sind wir heute nun soweit, die Kläranlage, wie sie 1984 geplant, 1985 begonnen und heute fertiggestellt ist, Ihnen vorzustellen. Und ich freue mich ganz besonders darüber, daß die Übergabe heute im Beisein des Ministers erfolgt.

Wir waren stets bemüht, trotz der langen Bauzeit, stets die neueste Technik einzusetzen, obwohl für die vollständige Beseitigung des Stickstoffes die Stadt in der Zukunft noch einige Investitionen vornehmen muß... In den Jahren 1985–86 wurden die Becken für die biologische Stufe mit Baukosten von circa fünf Millionen errichtet, in den Jahren 1987–90 diese ganze Anlage, mit Sandfang, Regenüberlaufbecken, Tropfkörper usw. mit Kosten von circa 3,5 Millionen, im Bereich der Abwasserseite waren damit die Baumaßnahmen im wesentlichen abgeschlossen. Danach wurden die Bauwerke für die Schlammbeseitigung in Angriff genommen, von 1990 bis heute, und die Erstellung der anaerob-thermophilen Schlammbehandlungsanlage, maschinelle Schlammentwässerung, Fäkalannahmestation, Schlammeindicker, Faulturm und Gasbehälter, dazu die elektronischen Meß- und Steuerungsanlagen, Datenverarbeitung, all das mit Gesamtkosten von circa vier bis fünf Millionen... Sehr geehrter Herr Bürgermeister, ich möchte Ihnen diese Anlage übergeben.“

Lächelnd und unter dem verhaltenen Applaus der Gäste schreitet der schafsartig gelockte Bürgermeister erneut hinters Mikrophon, ordnet das Redemanuskript und läßt wohlgefällig seine Stimme erschallen über Faulschlamm- und Fäkalbecken. Von „Früchten“ ist die Rede, „die die späteren Jahre voll zur Reife bringen werden“, von der „Erpe, in der sich bald schon wieder mancher Fisch gern tummeln wird“, und von der Hoffnung, daß „mit dem Knopfdruck durch den Herrn Minister wir künftig einen stets störungsfreien Betrieb in unserer Anlage, zum Wohle der gesamten Bevölkerung, verzeichnen können“. Und nun bittet er den Minister, der die Zeit damit verbrachte, mit gesenktem Kopf und übertrieben bedächtiger Miene vom Standbein aufs Spielbein zu wechseln, doch nun auch seinerseits das Wort zu ergreifen.

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Fortsetzung

Der Minister tritt hinter das Podium, räuspert sich und tatsächlich scheint so etwas wie Freude in seinen Zügen aufzuleuchten über die Gelegenheit, eine Rede zu halten, wann und wo auch immer. Bei den Männern ist es vielleicht wie beim Hahn auf dem Mist, der Schrei muß hinaus aus der Gurgel:

„... bin froh, heute diese Kläranlage ihrer Bestimmung übergeben zu können, ganz besonders, dies in der schönen Stadt W. zu machen und... eh... für einen Landesumweltminister, der ja für fast alles verantwortlich ist, was schief geht, ist es nicht alltäglich, Umweltpolitik konkret zu erleben. Landesumweltpolitik bewegt sich auf einer Ebene von Gesetzen, von Verordnungen, von Anordnungen wenn es brennt, aber recht selten eigentlich auf der konkreten Ebene, dort, wo man die Dinge sieht, wo man gestaltet, wo man sie macht.

Was wir heute hier sehen, ist in der Tat ein Stück konkreter Umweltschutz, ein Stück Umweltschutz, der so selbstverständlich wie er uns scheint in der Welt noch lange nicht ist, und darin liegt eines der ganz großen Hauptprobleme, vor denen wir stehen. Und ich möchte hier, Herr Bürgermeister, hinzufügen, wir werden in Zukunft auch für solche Anstrengungen verstärkt Geld ausgeben müssen, und das heißt, wir werden auch den Bürgerinnen und Bürgern mehr an Belastungen zumuten müssen, um dieses Mehr an Umweltschutz finanzieren zu können. Im Klartext – und ich freue mich, daß das mittlerweile im Landtag von allen Parteien so gesehen wird, im übrigen auch im Deutschen Bundestag –, wir werden verstärkt auch Mittel für den Umweltschutz, nicht nur für die Abwasserreinigung, sondern auch für Abfallentsorgung, für die Abfallverwertung, für Luftreinhaltung, für ökologisch verträgliche Technologie verstärkt zur Verfügung stellen müssen. Und da eine Mark nur einmal ausgegeben werden kann, wenn man solide wirtschaftet, wird das auch heißen, daß der Anteil, den wir durch Umweltkosten für die Erhaltung der Umwelt ausgeben müssen, auch für die Gebietskörperschaften und vor allen Dingen auch für die Privaten, steigen muß.

Insofern freue ich mich, daß das Land hier soviel bezuschussen konnte, aber es ist auch kein Geheimnis, wenn ich sage: Natürlich, Perspektive muß sein! Verstärkt auch dadurch, die Gebühren den Kosten auch anzugleichen. Wir werden auch weiter bezuschussen, erschrecken Sie nicht, aber Sinn auf Dauer wird es nur machen, wenn wir die Gebühren den tatsächlichen Kosten auch angleichen.

Ich weiß, es ist unbequem für jeden in der Verantwortung stehenden, der ja alle vier Jahre neu gewählt werden soll, ob er der CDU, der FDP, der SPD oder den Grünen angehört – von der Interessenlage her, da sind sie sich alle ähnlich, oder um nicht zu sagen gleich – dennoch bin ich der festen Überzeugung, daß wir die kommenden großen Aufgaben, die vor uns liegen, nur dann lösen können, wenn die realen Kosten, die Umweltbelastung mit sich bringt, dann tatsächlich auch in den Preisen sich darstellt. Nur so glaube ich, daß mit marktwirtschaftlichen Mitteln eine Verhaltensänderung in breiten Bevölkerungsschichten – bei uns allen also – erzielt werden kann.

Dennoch wird das Land auch in Zukunft Abwasseranlagen fördern. Ich hoffe, daß der Landtag nächste Woche die Grundwasserabgabe beschließt, damit wollen wir Verhaltensänderungen, grundwasserschonendes Verhalten erreichen, sozusagen die andere Seite des Kanals ist damit gemeint, nicht die Abwasserseite, sondern die Schonung der Grundwasserreserven. Wir haben ja genügend Grundwasser, nur, das zu Trinkwasser zu benutzende Grundwasser wird auf Grund von Schadstoffeinträgen immer weniger, das heißt, selbst in wasserreichen Gebieten, jenseits der Großstädte, bekommen wir – etwa über die dauernden Einträge durch Überdüngung und Pestizide – zunehmend Probleme mit Trinkwassergewinnungsbrunnen im Grundwasserbereich.

Hier wollen wir eine Verhaltensänderung herbeiführen, aber selbstverständlich auch bei den Haushaltungen. Bei den Gebietskörperschaften wollen wir mit den eingenommenen Mitteln konkrete Wassersparmaßnahmen finanzieren, bezuschussen, das heißt, auch von der Seite her ist erhebliche Anstrengung jetzt ins Auge gefaßt.

Ich möchte allen Beteiligten danken, ich wünsche Ihnen mit der neuen Kläranlage viel Erfolg. Ich möchte die Stadt W. ausdrücklich loben für ihre seit vielen, vielen Jahren bestehenden Anstrengungen bei der... eh... Abwasserbeseitigung, bei Investitionen in diesem Bereich. Ich möchte Sie ermuntern, diesen Weg weiterzugehen. Ich freue mich, daß dies mittlerweile Gemeingut, oder schon seit längerer Zeit bei allen im Landtag vertretenen Parteien, bei allen politischen Gruppierungen, die hier in diesem Lande Verantwortung tragen, als Gemeingut gilt. Ich wünsche Ihnen also Glückauf mit dieser neuen Anlage, allen Beteiligten am Bau, an der Bauausführung, an der Planung, Privaten und Öffentlichen, allen Beteiligten möchte ich nochmals seitens des Landes ausdrücklich danken und wünsche Ihnen, die diese Kläranlage dann in Zukunft zu fahren haben, beim Betrieb viel Erfolg. Es ist ein Vorbild, das wir hier heute der Bestimmung übergeben! Insofern ein ganz konkreter Beitrag zum Umweltschutz, auf den die Stadt – und auch Sie als verantwortlicher Bürgermeister – sehr stolz sein kann. Vielen Dank.“

Nachdem nun alle koprophilen Neigungen aus den ministeriellen Seelenfalten verdrängt sind, durch umstandslose Überleitung vom Kot aufs Geld, kann der entscheidende Akt endlich stattfinden. Der Ingenieur vermittelt zwischen oben und unten:

„Die Mitarbeiter, Sie sehen sie hier, haben sich noch etwas ausgedacht, irgend etwas muß ja geschehen, denn die Anlage läuft ja schon, sie ist ja, wie gesagt, unter Betrieb entsprechend erneuert worden, und da haben sich die Mitarbeiter gedacht, der Knopfdruck, der uns dann stets ein Vollfunktionieren gewährleisten soll, sollte von Ihnen erfolgen, Herr Minister. Ich darf vielleicht bitten, vielleicht mal dort hin zu gehen, der Herr Klärmeister hat sich schon alles vorbereitet.“

Der Minister, gefolgt von den mild lächelnden Honoratioren, stellt sich neben dem Klärmeister in Positur und betätigt dann, während die Herren von der Presse den Augenblick im Bild festhalten, theatralisch den zugewiesenen Knopf. Nach kurzem Aufjaulen eines Motors ertönt ein gleichbleibendes Brummen, unterlegt von schabenden Geräuschen, die irgendwo in der schlammigen Tiefe entstehen.

„Anlage läuft“, ruft der Klärmeister triumphierend. Über das Gesicht des Ministers irrt ein abwesendes Lächeln, willig läßt er sich von Ingenieur und Bürgermeister zur kleinen Sektbar führen und nimmt das gereichte Glas mit verbindlicher Dienstmiene entgegen. – Doch bevor er es zum Munde führen kann, hat ein Klärwerker Mikrophon und Wort ergriffen, um noch eine Erklärung abzugeben:

„Wir haben, weil die Arbeiten ja unter Betrieb geschehen mußten, den Faulturm zwischengelagert, das heißt, daß der Faulschlamm da entsprechend abgezogen wird, und dieser befindet sich nun in den Schlammstapelteichen, dort hinter der großen Kiefer. Nun, wir haben heute Ostwind, wie auch noch die nächsten acht Tage, und so kommt es allerdings, weil der Schlamm ja nicht ausgefault ist, daß diese Gerüche natürlich hier herüberwehen. Die Anlage ist so ausgelegt, daß künftig derartige Gerüche nicht mehr in dieser Stärke entstehen und wahrnehmbar sind. Ich darf Sie vielleicht bitten, sich anschließend einen kleinen Rundgang nicht entgehen zu lassen. Die Mitarbeiter, auch der Herr Ingenieur, stehen dafür zu Ihrer Verfügung.

Darüber hinaus darf ich Sie nun einladen, auf dieses Ereignis einen kleinen Schluck zu sich zu nehmen.“

Nun aber stoßen Minister, Bürgermeister, Ingenieur, die Magistratskollegin und der Klärmeister an, auf dieses „Stück konkreten Umweltschutz“, wie es der hohe Gast in seiner Rede formulierte. Man prostet sich zu und nippt am Glase. Der Bürgermeister bemüht sich, den bereits sehr zerstreut wirkenden Minister noch eine Weile aufzuhalten, noch länger teilhaben zu können am Fluidum der Macht, aber vergeblich. Während in den abgestellten Sektkelchen immer noch die Bläschen aufsteigen – ganz ähnlich, wie die Blasen im Klärbecken – wird der Minister Joschka Fischer bereits in seiner Dienstlimousine weggefahren, eskortiert von Polizei, gefolgt von Arzt und Krankenwagen.

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