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Tödlicher Kuß?

■ Drei Wochen vor den Wahlen in Frankreich sorgt der Rocard-Vorschlag - Auflösung der Sozialisten und Gründung eines Bündnisses von der Mitte bis zu Kommunisten - bei beiden Öko-Parteien für Aufregung: Realos dafür - Fundis..

Tödlicher Kuß?

Ob sich der Urknall zur Erneuerung der französischen Linken jemals ereignet, steht in den Sternen. Doch schon die Rede davon schlägt Wellen: Hatten die Öko- Parteien auf die Einladung des früheren sozialistischen Premierministers Michel Rocard zur Neuordnung der Parteienlandschaft zunächst frostig reagiert, so signalisieren sie jetzt Interesse. „Ich akzeptiere seine ausgestreckte Hand“, sagt Brice Lalonde, der Chef von „Génération Ecologie“. Grünen-Sprecher Antoine Waechter hält „ein gemeinsames Arbeiten mit der Linken, beispielsweise im Rahmen einer Regierung“, für möglich. Doch obwohl sich der Graben zwischen Rocard und dem grünen Bündnis in den letzten Tagen verringert hat, bleibt klar: Die Öko-Parteien wollen sich nicht vereinnahmen lassen. Rocard hatte in seiner spektakulären Wahlkampfrede vom 17. Februar offen ausgesprochen, was ganz Frankreich weiß: Die PS ist ausgeblutet. Auf dieser Basis versuchte er, der Linken einen neuen Horizont und sich selbst eine politische Zukunft zu weisen: Ein Urknall solle den Weg frei machen zur Gründung einer breiten Bewegung aus Sozialisten, Reformkommunisten, Öko-Politikern, sozial engagierten Zentristen und Verfechtern der Menschenrechte.

Die Reaktion der Öko-Parteien war einhellig: „Der big bang sind wir“, formulierte Grünen-Sprecher Yves Cochet den Protest. Lalonde, der schon seit langem für einen neuen Pol aus „realistischen Ökologen, reformbereiten Zentristen und modernen Sozialisten“ wirbt, sah sich den Wind aus den Segeln genommen. Rocard solle den logischen Schluß aus seiner Analyse ziehen und bei GE eintreten, sagte er voller Ironie. Sein Stellvertreter Noäl Mamère bezeichnete Rocards Initiative als „tödlichen Kuß“.

Inzwischen haben die Öko-Parteien das Risiko einer strikten Verweigerungshaltung erkannt: Da sie sich selbst als Pfeiler zur Neuordnung der Parteienlandschaft verstehen, machen sie sich unglaubwürdig, wenn sie entsprechende Initiativen nicht ernst nehmen. Außerdem sind sie viel zu heterogen, um dieses Ziel allein zu verwirklichen. Zwei Drittel ihrer Wähler begrüßen den Rocard- Vorschlag– schließlich sind viele von ihnen als enttäuschte Sozialisten zu den Öko-Parteien geflüchtet. Eine einfache Abfuhr an Rocard würden sie nicht akzeptieren.

„Wir müssen Rocard aufmerksam zuhören, denn er wiederholt, was wir seit zwei Jahren fordern“, sagt GE-Sprecher Mamère zur taz. Die Neuordnung könne jedoch nur von den Öko-Parteien selbst ausgehen. „Von den Sozialisten erwarten wir in dieser Hinsicht nichts. Die PS ist am Ende, wie Rocard gesagt hat. Daher kann es nur in seinem Interesse sein, daß die UmweltschützerInnen stark sind. Dann kann er unabhängiger von der PS handeln. Meiner Ansicht nach sind die Sozialistenführer mit Rocard überhaupt nicht einverstanden, die alten Flügelkämpfe werden wieder aufbrechen.“ Spätestens bei den für 1995 angesetzten Präsidentschaftswahlen wird sich erweisen, ob Rocards Urknall nur „ein nasser Knallfrosch“ ist, so Mamère, oder eine Explosion der politischen Landschaft bewirkt.

Traum von demokratischer Partei nach US-Muster

Während GE sich in Frankreich eine große demokratische Partei nach US-amerikanischem Beispiel vorstellen kann und für die Präsidentschaftswahlen von einem „Ticket Rocard-Lalonde“ träumt, lehnen „Les Verts“ jegliche Fusion ab. Auch ein „Big Mac“, eine Sammelbewegung um eine Person, die nur dazu dient, starke Wahlergebnisse zu erzielen, kommt für sie nicht in Frage. „Hingegen haben wir immer mit der Idee geliebäugelt, eines Tages einer Allianz anzugehören, die genau die Gruppen umfaßt, die Rocard genannt hat“, sagt Alain Lipietz, Wirtschaftsexperte der Grünen. „Wir beharren jedoch auf der absoluten Autonomie der Umweltschützer in dieser Allianz und fordern ein Abkommen über die Ziele.“

Während GE bis heute kein Programm ausgearbeitet hat und Lalonde zur Beruhigung skeptischer Landsleute gerne wiederholt, daß er nur „20 Prozent Ökologie“ in allen Bereichen will, haben Les Verts oft weitergehende Forderungen als er – so in Sachen Atomkraft oder Wahlrecht für Einwanderer. Doch selbst Les Verts-Chef Waechter ist längst kein Fundamentalist mehr. Zusehends wandelt er sich zum Pragmatiker mit Spaß an der Macht.

Rocards Einlenken auf Positionen des grünen Bündnisses könnte daher auch für den Wahlgang am 28. März konkrete Folgen haben. Les Verts wiederholen seit Monaten, daß sie sich kein „Massaker“ der PS wünschen, da eine überwältigende Mehrheit der Rechten dem Land und ihnen selbst nur schade. Lalonde hingegen griff die PS offen an. Er zielte jedoch in erster Linie auf den Flügel von Parteichef Laurent Fabius. Rocard war beim GE-Parteitag im November als Stargast geladen und erhielt stehende Ovationen.

Das Bündnis zwischen GE und Les Verts sieht bisher vor, daß ihre Kandidaten im Rennen bleiben, falls sie die Hürde zum zweiten Wahlgang (12,5 Prozent der Stimmen) genommen haben. Diese Taktik dürfte häufig die Bürgerlichen zum Sieger machen. Eine kleine Klausel erlaubt jedoch „eine andere Haltung, nach Prüfung etwaiger neuer Elemente“. Seit Rocards Rede ist eine – zumindest stillschweigende – Übereinkunft zwischen PS-Kandidaten und grünem Bündnis zum Rückzug des jeweils schwächeren Kandidaten am 28. März wahrscheinlicher geworden. Bettina Kaps/Paris

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