: US-Papierflieger gestartet
■ Hilfspakete sollen folgen / Verschleppungen und Vertreibungen in allen Gebieten / Russen liefern angeblich Waffen an Serbien
Berlin (dpa) – Zunächst kommt Papier aus der Luft: Mit dem Abwurf von einer Million Flugblättern über Ost-Bosnien hat die US-Regierung in der Nacht auf Sonntag ihre Hilfsflüge vorbereitet (deren Starttermin bei Redaktionsschluß noch unklar war). Auf den Flugblättern (s. Abb.) ist in lateinischer und kyrillischer Schrift zu lesen: „Amerikanische Flugzeuge werden alle Menschen aus der Luft mit humanitärer Hilfe versorgen. Schießen Sie nicht auf amerikanische Flugzeuge. Nahrung und Medizin sind für alle Menschen gedacht.“; auf anderen: „Gefahr! Lassen Sie zu Ihrer Sicherheit die humanitäre Hilfe zu Boden kommen, bevor Sie sich nähern.“ Wie der bosnische Rundfunk gestern meldete, sind die Flugblätter zu einem großen Teil weit außerhalb der belagerten Städte in den Linien der serbischen Truppen niedergegangen.
Mit den umstrittenen Hilfsflügen sollen die 300.000 von Serben belagerten Moslems Nahrung und Medikamente erhalten; die Pakete wiegen zwischen 270 und 700kg und sollen aus mehr als 3.300 Metern Höhe abgeworfen werden. Inspekteure der Kriegsparteien (zwei Serben, ein Moslem und ein Kroate) hatten am Samstag auf dem US-Luftwaffenstützpunkt in Frankfurt am Main die Lieferungen untersucht. Als man sich hinreichend davon überzeugt hatte, daß die Kisten keine Waffen enthalten, erklärte auch Belgrad sein Einverständnis mit der humanitären Aktion. In den betroffenen Gebieten Ostbosniens sollen in den vergangenen Wochen etwa 5.000 Menschen verhungert oder erfroren sein. Ein Arzt der belagerten Stadt Zepa spricht von der Gefahr einer Typhusepidemie.
Die bosnische Hauptstadt Sarajevo ist unterdessen am Sonntag wieder Opfer schwerer Artillerieangriffe geworden; mindestens drei Menschen wurden getötet. Die neuen Angriffe
erfolgten nach einer Woche ungewöhnlicher Ruhe, nachdem Bosniens Präsident Alija Izetbegović am vergangenen Wochenende eine einseitige Waffenruhe verkündet hatte. Gekämpft wurde auch entlang der Waffenstillstandslinien in Kroatien – und gekämpft werden kann, unter technischer Rücksicht, auch endlos, wenn der britische Observer mit seiner gestrigen Meldung Recht behält: demnach haben russische Offiziere mit Serbien Waffenlieferungen im Umfang von 360 Mio Dollar vereinbart. Nach Angaben der Zeitung unterzeichneten Generäle der russischen Armee sowie des Geheimdienstes am 22.Januar ein Abkommen mit serbischen Führern, um trotz des Waffenembargos der UNO Panzer und Rakten nach Serbien und in die serbisch besetzten Gebiete in Kroatien und Bosnien zu liefern.
Am Freitag wurden etwa 1.500 bosnische Moslems von serbischen Truppen aus einem Dorf in der Nähe von Travnik vertrieben. Als die Menschen – überwiegend Frauen, Kinder und Alte – die serbischen Linien in Richtung auf moslemisch kontrolliertes Gebiet überschritten, wurde nach Angaben der Unprofor von Serben auf sie geschossen, woraufhin die Blauhelme sich mit gepanzerten Fahrzeugen zwischen die Vertriebenen und die serbischen Truppen stellten. Die Unprofor war 24 Stunden vor Beginn von den serbischen Truppen über diese Maßnahme „ethnischer Säuberung“ informiert worden.
Darüber hinaus sind mindestens 25 Moslems und Kroaten am Samstag aus einem Zug verschleppt worden, der von Belgrad nach Bar in Montenegro unterwegs war. AFP berichtet unter Berufung auf einen Informanten, die bewaffneten Verschlepper hätten Uniformen des serbischen Milizführers Arkan getragen. Die Menschen sollen nach Rudo im serbisch kontrollierten Teil Bosniens verschleppt worden sein.
Auch die Spannungen zwischen Moslems und Kroaten haben sich in Bosnien-Herzgowina verstärkt. Die Führung der bosnischen Kroaten kündigte nach einer Meldung der Zagreber Nachrichtenagentur HINA an, die ihrerseits kontrollierten Grenzübergänge zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina würden für alle Lieferungen an die bosnische Armee geschlossen.
Rumänien und Rest-Jugoslawien haben inzwischen Verhandlungen über eine Beendigung der serbischen Donau-Blockade aufgenommen. Seit Dienstag vergangener Woche blockieren 65 serbische Schiffe die rumänische Donau-Schleuse Eisernes TorII. Der Weltsicherheitsrat hatte Belgrad am Samstag aufgefordert, die Blockade aufzuheben. Zuvor hatte Rumänien die Schleusen für serbische Schiffe unter Berufung auf die gegen Rest-Jugoslawien verhängte UNO-Wirtschaftsblockade gesperrt.
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