: „Terror 2000“ – ungestört
■ Nach einem Säureanschlag durch Autonome auf die Spulen des umstrittenen Films gingen Sondervorführung und Diskussion in Berlin ungestört über die Bühne
Berlin (taz) – Ohne den befürchteten Polizeieinsatz ging am Sonntag abend die Sondervorführung von Christoph Schlingensiefs umstrittenem Film über die Verhältnisse in Deutschland vor Rostock, „Terror 2000“, im ausverkauften Berliner Kino „Sputnik“ über die Bühne. Der Film hatte in der Stadt für einige Aufregung gesorgt.
Vor Wochen hatte Ulrich Gregor, der Leiter des Berlinale-Forums, den Zorn des Regisseurs auf sich gezogen, als die Auswahlkommission eine Vorführung des Films innerhalb der „Deutschen Reihe“ abgelehnt hatte. Das deutsche Feuilleton witterte ein Komplott gegen einen „schrillen, bewußt überzeichnenden Beitrag zum Thema Rassenhaß in Deutschland“ (SZ).
Seit einiger Zeit nun lief der Streifen in mehreren Berliner Kinos. Das wiederum rief die Gesinnungswächter der autonomen Szene auf den Plan. Vorige Woche verübten sechs Vermummte nachts einen Buttersäureanschlag auf das Kino „Sputnik“ und erklärten in einem Bekennerschreiben, „Terror 2000“ sei „stumpfsinnig, rassistisch und sexistische Propaganda“. Der Film kritisiere nicht den „rassistischen und sexistischen Alltag in Deutschland“, sondern zeige „ekelhafte Realität“. Filmspulen wurden zerstört, der Projektor und die Leinwand demoliert, und die selbsternannten Zensoren drohten dem Filmvorführer, ihn „umzubringen“, falls er sie verfolge.
Die „Sputnik“-Betreiber entschlossen sich zu einer Sondervorführung mit anschließender Diskussion. Auf den Aufruf gegen die Veranstaltung („Wir lassen uns nichts gefallen und wehren uns mit unseren Mitteln“, hieß es in einer Anzeige im taz-Lokalteil) reagierten sie mit einem Hilferuf an „ALLE, uns und die anderen Berliner Kinos zu schützen“.
Filmvorführung und Diskussion verliefen geregelt. Die zahlreich erschienenen Schlingensief-GegnerInnen beschränkten sich auf Unmuts- und Beifallsbekundungen und überließen die Diskussion weitgehend FilmkritikerInnen, KinobetreiberInnen und dem Berliner Staatssekretär Sühlow. Deren Positionen glichen sich: Ob sie nun den Film gut oder schlecht fanden, sie verurteilten einhellig die Säure- Aktion, in der sie einen seltsamen Schulterschluß der Autonomen mit den CSU-Moralisten sehen. Eindringlich mahnte etwa Kritikerin Christiane Peitz, nicht dem Fehler anheimzufallen, die beiden Ebenen der Debatte miteinander zu vermischen: Die Frage der ästhetischen Qualität dürfe keinesfalls zu einem Argument für Zensur werden.
Eine junge Frau aus dem Publikum reklamierte dagegen für sich das Recht, sich gegen ihre persönliche „Verletzung“ durch den Film zu wehren: „Wir Frauen schützen uns gegen eine bestimmte Art von Gewalt, gegen eine bestimmte Art von Schlägen“.
Als Staatssekretär Sühlow auf die Frage der Filmförderung und deren Gefährdung zu sprechen kam, hatte man sich von dem eigentlichen Anlaß des Abends dann doch weit entfernt: Der Betreiber des Sputniks beschwerte sich denn auch über das Abgleiten der Diskussion „ins Feuilletonistische“, er habe sich von dieser Veranstaltung konkrete Ratschläge erhofft: „Ich habe Angst vor dem, was hier passiert!“ Stefan Schor
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