Sanssouci: Vorschlag
■ Greger Hansens „Satyricon“ im Museum Antiker Plastik
Der Rhetorik-Student Enkolpios verliebt sich in den Jüngling Giton. Aber auch der alte Gigolo Askyltos und der Hungerpoet Eumolpos haben sich in den schwarzgelockten Lustknaben verguckt, und sogar die Dame Tryphaena, die einst von Enkolpios beglückt wurde, hat jetzt nur noch Augen für dessen anschmiegsamen Begleiter. Von den unzähligen Ungenannten, die sicher ebenso erfolgreich um Gitons Gunst werben, ganz zu schweigen. Enkolpios durchleidet Höllen der Eifersucht, und als er sich endlich auch einmal anderweitig verliebt und den weiblichen Reizen der Circe erliegen will, ist er „in der Mitte schon tot“, wie sie ihm später höhnisch bestätigt.
„Satyricon“ heißt diese episodische chronique scandaleuse, und sie ist über 1.900 Jahre alt. Petronicus, Dichter und „Geschmacksrichter“ am Hofe Neros, verfaßte etwa 2.000 Seiten, auf denen er Enkolpios heiter und pathetisch, ironisch und leidenschaftlich über seine amourösen Erlebnisse schwadronieren läßt. Immer wieder nutzt er auch die Gelegenheit, bissige Kommentare zur Kommerzialisierung der Kunst und der Hohlheit der Gesellschaft einzuflechten, und so ist „Satyricon“ keineswegs nur ein verstaubtes Epos aus der Sandalenzeit. Es ist ein schwuler Roman, ein Liebesroman, ein Schelmenroman und eine Gesellschaftssatire. Nur Fragmente des Originaltextes sind noch erhalten. Greger Hansen, ehemaliger Schaubühnen-Schauspieler und seit sechs Jahren in der freien Szene tätig, bearbeitete sie dramaturgisch und kleidete sie in eine drastische Gegenwartssprache. In der Rolle des Erzählers Enkolpios stellt er sich dann auf eine improvisierte Bühne im Museum Antiker Plastik in der Charlottenburger Schloßstraße und präsentiert in zwei kurzweiligen Stunden seine szenische Interpretation dieser abenteuerlichen Geschichte.
Die Räumlichkeiten sind ein Glücksfall für die Darbietung dieses ironisch-schwülstigen Stoffes, denn unfreiwillig setzt das Museum den Zwittercharakter des Textes fort. Mächtige Jünglingsgestalten in Gips stehen dichtgedrängt in einem funktionalistischen Raum – antikisierende Kleiderpuppen, die sich der Peinlichkeit nicht bewußt sind, im falschen Jahrhundert noch immer existieren zu wollen. Und auch Hansen ist ein Glücksfall für den Text. Denn wie er als Enkolpios auch alle anderen Rollen markant chargiert und immer wieder in den lustvoll-leidenden Erzählerton zurückfindet, wie er die Posen seiner antiken Statisten zitiert, wie er mimisch zerfließt oder mit einer Grimasse eine ganze Figur erzählt, ist brüllend komisch und keine Sekunde lächerlich. Er bevölkert die Bühne aus der neurotischen Sichtweise des Enkolpios heraus, nimmt diesen dabei völlig ernst und stellt ihn doch immer nur vor – eine Verdreifachung der Erzählebene, die der dreifache Schatten Hansens an der Museumswand abermals bricht. Petra Kohse
Aufführungen: 4.-7. März im „Museum Antiker Plastik“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen