piwik no script img

Erneut Bedenkliches

Die Unanschaulichkeit der Politik ist ein fortwährendes und bohrendes Problem der westlichen Demokratien: Mehrwertsteuer, Umsatzsteuer, Strukturreform und Leitzinsen, die großen Themen unserer Gesellschaft also, zeichnen sich durch Abstraktheit aus. Dies ist einer der Gründe dafür, daß auch die Medien (eher schlechter als der Rest der Welt, wie uns der Spiegel wöchentlich versichert) sich hungrig, mit geifernden Lefzen, auf alles stürzen, was konkret und möglichst aasig ist: scheiternde Ehen, mißbrauchte Kinder, Gewalt in der Schule und im Bordell, Politiker dortselbst oder in Badewannen. Und da Geld stinkt, hat es fast immer die Kralle im Spiel; die Aufdeckung desselben Sachverhalts ist das, was vom Marxismus übrig blieb und — letztlich! — jeden Leitartikler inspiriert.

Nun ist uns ein Spekulationsobjekt beschert, das an Konkretheit nichts zu wünschen übrig läßt: die Schreibtischschublade des Ehepaares Jansen in Kiel, von dem der dünne Firnis der Zivilisation in einem Atemzug hinweggepustet ist.

Die beiden guten Menschen aus dem Flachlande haben also darin gesammelt, was „so übrig blieb vom Haushaltsgeld“: heute 20, morgen mal 200 Silberlinge, bis schließlich 40.000 Deutschmark nach sozialer Verwendung unüberhörbar riefen. Und ausgerechnet Pfeiffer, diesen bescheidenen, im stillen unermüdlich für die Wahrheit rührend tätigen Menschen, hat es getroffen: das einzige Opfer der Barschel-Affaire, das nicht den ewigen Frieden in der einen oder anderen Form hat finden dürfen.

Pfeiffer ist ein Unglücksrabe: die sechsstellige Summe, die er vom Spiegel noblerweise erhalten hat, ging in die Abgründe eines Bräunungsstudios und seiner Ehe; allein gelassen vom Sonnen- und vom Wirtschaftskreislauf, pensionslos, arbeitslos und allgemein verachtet, weckte er folgerichtig und parteiübergreifend das Mitleid des bürgerlichen Ehepaares. Ist das „beliebte Nordlicht Jansen nun im Zwielicht“, wie in unerreichter Anschaulichkeit die Berliner Morgenpost schreibt, oder sollen wir der Süddeutschen Zeitung folgen, die den Sozialminister immer noch als einen „guten Menschen“ beschreibt?

Wir halten die Frage für unentscheidbar und nachrangig. Geist, Geld und Geschick sind selten in einer Person vereint; Gefallenen muß geholfen werden. Otto Graf Lambsdorff, die Inkarnation dieser drei Lebensmittel, hat sich zwar ins Knie geflickt, macht aber wieder einen guten Eindruck. Eberhard von Brauchitsch aber, auch ein Opfer der Anschaulichkeit, ist noch immer verbittert, einsam und mittellos. Jansen, übernehmen Sie! ES

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen