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Die Ost-Metallarbeitgeber setzen auf Biegen und Brechen

■ Nach der Kündigung des Stufenplans zur Lohnangleichung besteht eine politisch und rechtlich verfahrene Situation

Berlin (taz) – Selbst Rudolf Hickel ist ratlos. „Die Tarifparteien haben sich absolut verrannt“, analysiert der Bremer Wirtschaftsprofessor die vertrackte Lage, „das ganze System ist blockiert. Nun kommt es darauf an, wer einen Schritt nach vorne geht.“ Für Hickel, der in Sachsen bei den Revisionsverhandlungen für die ostdeutsche Metall- und Elektroindustrie als Schlichter fungierte, steht jedoch fest, daß Arbeitgeber und Gewerkschafter wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren müssen. „Einen Streik halte ich in der Gesamtlage für katastrophal.“

Doch daß noch einmal Bewegung in die hoffnungslos festgefahrene Tarifrunde kommt, danach sieht es derzeit ganz und gar nicht aus. Mit Sachsen-Anhalt hat am Montag abend der letzte der fünf ostdeutschen Metallarbeitgeberverbände den im Frühjahr 1991 geschlossenen Vertrag über eine stufenweise Anhebung der Ostlöhne bis 1994 auf das Westniveau einseitig aufgekündigt. „Wochen der Unruhen“ und Warnstreiks kündigte die IG Metall prompt an.

Nach dem Stufenplan wäre eine Erhöhung der Ostlöhne für die rund 350.000 Beschäftigenten ab April um 26 Prozent auf 80 Prozent der Westgehälter fällig gewesen. Das aber wollen die Arbeitgeber nicht hinnehmen und verweisen dabei auf die desolate wirtschaftliche Situation in den meisten der 2.800 ostdeutschen Metallunternehmen. Die Lohnsteigerungen, so verkünden die Unternehmerverbände unisono, würden den Betrieben den letzten Todesstoß versetzen und 70.000 Arbeitsplätze kosten. Gesamtmetall will von April an „freiwillig“ neun Prozent mehr Lohn und Gehalt als Inflationsausgleich zahlen – genau so viel, wie für die ostdeutsche Chemieindustrie bei der Schlichtung vereinbart wurde.

Für die Gewerkschaft ist das Angebot, so der Berliner IGM-Bezirksleiter Horst Wagner, schlicht eine „Provokation“. Und auch Ökonom Hickel glaubt, daß die Arbeitgeber ein verbessertes Angebot auf den Tisch legen müssen, um die Funkstille zu beenden.

Die Treuhand, per Gesetz zur Neutralität verpflichtet, stärkt den ostdeutschen Metallarbeitgeberverbänden den Rücken. Auch sie will den rund 150.000 Metallern in den noch nicht privatisierten Unternehmen ab April nur neun Prozent drauflegen. Selbst die seien, rein betriebswirtschaftlich gesehen, unvertretbar, meint Treuhand-Personalvorstand Horst Führ. Die Verluste der meisten Betriebe beliefen sich auf 20 bis 40 Prozent des Umsatzes, wird der Schritt begründet; die bei einem 26prozentigen Tarifsprung fällige Lohnsumme mache gegenüber einer neunprozentigen Erhöhung eine halbe Milliarde Mark aus.

Für die IG Metall, die einen Verzicht auf den Lohnsprung für sozial unzumutbar hält, kommt der Ausstieg der Arbeitgeber aus den laufenden Abmachungen dagegen einem „offenen Rechtsbruch“ gleich. Die in der Geschichte der Bundesrepublik einmalige außerordentliche Kündigung, wirft der IGM-Bezirksleiter Frank Teichmüller den Arbeitgebern vor, sei ein unzulässiger Eingriff in das Tarifsystem und ziele auf eine generelle Wende in der Tarifpolitik ab. Damit solle, ergänzt der DGB, das Ende des Sozialsystems eingeläutet werden. Der Osten droht so zur Billiglohnzone im eigenen Land zu werden.

„Wir werden nicht monate- oder jahrelang auf einen Gerichtsentscheid warten“, droht die IG Metall mit massiven Arbeitskampfmaßnahmen. Denn die rechtliche Lage ist ziemlich konfus. Eigentlich sind die Tarifverträge, die eine Laufzeit bis zum 1. April 1994 haben, erst zu diesem Termin regulär kündbar. In drei der fünf Tarifbezirke, in Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern, behaupten die Arbeitgeber aber, daß die Stufenpläne keinerlei normative Wirkung hätten, da sie nicht förmlich in den Tarifverträgen festgehalten worden seien.

In den beiden anderen Tarifbezirken, Sachsen-Anhalt und Berlin/Brandenburg, wo entsprechende Absicherungen allerdings getroffen wurden, sei die Geschäftsgrundlage entfallen. Analog zum Bürgerlichen Gesetzbuch, wonach Vertragstreue nicht verlangt werden könne, wenn eine Partei dadurch ins Verderben gerate, verweisen sie darauf, daß der Tarifsprung ihren Betrieben den Garaus machen werde – ein Notfall also.

Die Gewerkschaften sind da ganz anderer Ansicht: die Kündigung sei mit der schwierigen wirtschaftlichen Entwicklung nicht zu rechtfertigen – zu diesem Schluß kommt zumindest der Hamburger Arbeitsrechtler Ulrich Zachert in seinem Gutachten für die IG Metall. Die Entwicklung sei vorhersehbar gewesen; schließlich habe man hierfür ja Revisionsklauseln vereinbart; das Scheitern dieser Verhandlungen gebe den Arbeitgebern aber noch lange nicht das Recht, die Verträge zu kündigen. Auch andere Arbeitswissenschaftler sind skeptisch, ob die Arbeitgeber mit ihrer Haltung auch vor Gericht bestehen werden. Selbst der Konstanzer Juraprofessor Bernd Rüthers, im Metall- Arbeitskampf um die Einführung der 35-Stunden-Woche selbst einmal Schlichter und eher dem Arbeitgeberlager zuzurechnen, sieht hier Probleme: die Arbeitgeber müßten ihre wirtschaftliche Notlage im Einzelfall nachweisen und würden dadurch „gläserne Taschen“ bekommen.

Daß das den Unternehmen gar nicht behagt, wurde schon während der Schlichtungsverhandlungen deutlich: Zahlen über das Gewicht der Lohnkosten im Betrieb wollten sie der Gegenseite nicht präsentieren. Laut amtlicher Statistik sind die Lohn- und Gehaltskosten im Verhältnis zum Umsatz zwar deutlicher zurückgegangen, als der Umsatz pro Beschäftigtem angestiegen ist, doch diese Zahlen sagen wenig über die betriebliche Situation aus. Und die ist, das bestreiten auch die Gewerkschaften nicht, nach wie vor prekär: die Produktivität je Arbeitsstunde liegt nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) bei 40 Prozent des westdeutschen Niveaus, die Lohnstückkosten bei 170 Prozent.

Wenn sich keine der Tarifparteien bewegt, droht ab April eine chaotische Entwicklung. Ein Rechtsstreit um die Kündigung wird Jahre dauern; wie er ausgeht, ist ungewiß. In der Konsequenz bedeutet das nicht nur, daß auch die Verläßlichkeit anderer Tarifverträge in Frage gestellt wird, zudem wären erstmals seit 1928 weite Teile einer Branche ohne geltenden Tarifvertrag. In einer faktisch tariffreien Zone würden damit für betriebliche Vereinbarungen Tür und Tor geöffnet – ganz in der Tradition frühkapitalistischer Wild- West-Methoden.

Um aus der Sackgasse zu kommen, fordert Rudolf Hickel ein industriepolitisches Signal aus Bonn. Eine verbindliche Zusage, die industriellen Kerne etwa in Form von Sanierungsbeihilfen und Lohnsubventionen zu stützen, könnte die festgefahrene Lage entspannen. Doch daß es zu einem solchen Schritt am 11. März kommt, wenn die Gespräche beim Kanzler um den Solidarpakt in die entscheidende Runde gehen, will so recht niemand glauben. Erwin Single

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