■ Ab heute läuft in den deutschen Kinos der neue Film von Spike Lee „Malcolm X“. Die filmische Biographie des Bürgerrechtlers hat nicht nur in der Black Community der USA eine Debatte um schwarzen Nationalismus ausgelöst.: Ein Malcolm für alle
Mitten in den Dreharbeiten zu „Malcolm X“ stellte Spike Lee, selbsternanntes bête noir, Grundstücksmakler, Filmdozent und Besitzer eines Produktionsstudios, fest, daß er nicht 28 sondern 33 Millionen Dollar zur Fertigstellung seines Opus benötigen würde. Zu diesem Zeitpunkt saßen ihm Warner Brothers, Gewerkschaften und die „United Front to Preserve the Legacy of Malcolm X“ mit ihrem Vorsitzenden Amiri Baraka längst im Nacken: der Film sei zu teuer, Lee beute sein Imperium aus schwarzen Angestellten aus, und das Vermächtnis Malcolm Xs werde in seinem Film auf einen versöhnlerische Integrationismus reduziert.
Flugs mobilisierte der PR-Gewaltige Lee Personen des schwarzen Establishments wie Bill Cosby, Magic Johnson, Prince, Michael Jordan oder die Showmasterin Oprah Winfrey, die postwendend Schecks schickten.
Das fertige Produkt ließ er dann noch von Louis Farrakhan, dem jetzigen Kopf der NOI, der „Nation of Islam“ absegnen, der sich mehr für die filmische Darstellung seines Vorgängers Malcolm X interessierte. Schließlich versicherte Lee sich der Unterstützung der Witwe Malcolm X, Betty Shabbaz. Sie ihrerseits beschuldigt Farrakhan, am Komplott zur Ermordung ihres Mannes durch Angehörige des Muslim Temple in Newark, dem CIA und dem FBI beteiligt gewesen zu sein.
Daß sich alle diese konträren Positionen der Black Community Amerikas – die Black Urban Professionals, die panafrikanischen Kulturnationalisten und die Black- Power-Agitatoren – mit HipHoppern und Rappern, mit Akademikern wie dem Black Studies Professor Henry Louis Gates und mit kritischen Journalisten wie Jeffrey Stokes in diesem Film wiederfinden konnten, macht seine Stärke wie auch seine Schwäche aus. „Malcolm X“ als kleinster gemeinsamer Nenner?
Das Projekt ist wahrhaft enzyklopädisch angelegt. Von den brennenden Kreuzen der Ku- Klux-Klan-Attacken über die grellroten Zoot-Suits im Harlem der 40er Jahre, die Gefängnisse, die Stars and Stripes, die gestärkten Hemden der Brüder der Nation of Islam, den Trip Malcolms durch die Wüste nach Mekka – erzählt werden soll nicht nur der Zickzack-Kurs einer komplizierten schwarzen Biographie, nicht nur ein Gegenmythos zu JFK, sondern auch die Geburt einer Nation aus 400 Jahren Sklaverei, eine Ikonographie gegen Unterdrückung und Vertreibung, Geschichtsschreibung gegen die Geschichts- und Namenlosigkeit des Sklaven.
Daß es gerade Malcolm Little alias Malcolm X alias El Haijj Malik El Shabbazz ist, der die Ikone für einen neuen schwarzen Nationalismus formt, ist nur aus der schillernden Wechselhaftigkeit seines Lebens zu erklären. Von den vielen CDs, die nun seine Reden verbreiten, gibt kaum eine über Datum oder Zusammenhang der Rede Auskunft. Gangster, schwarzer Nationalist, Revolutionär, Priester – „Die Übergänge“, so schrieb kürzlich der Musikkritiker Diedrich Diedrichsen, „sollen fließend bleiben. (...) Kwame Toure (alias Stokeley Carmichael) soll ihn weiterhin als den großen Pan- Afrikanisten, Clarence Thomas ihn wegen seiner schwarzen Männlichkeit verehren, Amiri Baraka ihn als Pro-Maoisten feiern, und Spike Lee soll weiterhin behaupten können, schon der NOI-Malcolm sei eigentlich eher ein Revolutionär als alles andere gewesen.“ Vielleicht ist auch die Malcommania Resultat der großen Leere an der Spitze der Gemeinde: Intellektuelle wie Gates sind heute kulturell zu weit von den Ghettokids entfernt, als Sprecher kommt da eher ein Michael Jordan in Frage – oder eben ein großes X, ein leeres Zeichen, auf das jeder beliebiges projizieren kann.
Das Credo der NOI gründet sich auf eine Legende, die noch die Crypto-Comics „Fantasia“ in den Schatten stellt und die anekdotisch wirken würde, wenn sie nicht zunehmend die linken, universalistisch-humanistischen Gegenströme verdrängte. Marshall Frady hat diese Legende im New Yorker mit der Anthropologie von Hitlers „Mein Kampf“ verglichen: Die Menschheit war ursprünglich schwarz, eine hochentwickelte Zivilisation, die die Stadt Mekka errichtete und eine Heimstatt auf dem Mars hatte. 24 Zauberer herrschten über sie; einer von ihnen, Yacub, lernte Rassen zu zeugen. Als er später auf die Insel Pathmos verbannt wurde, kreierte er aus Rache die weiße Rasse, deren genetischer Auftrag das Töten von Schwarzen und deren erste Ausformung die Juden waren. Die „Protokolle der älteren von Zion“ zirkulieren deshalb auch heute wieder in Brooklyn, wo Schwarze auf jüdische Hausbesitzer treffen (siehe auch Seite 12).
Die Forderung nach einer schwarzen Nation mit getrennter Ökonomie, die Malcolm vor allem in den NOI-Jahren vertrat, wird im Film tunlichst nicht spezifiziert. Unter wessen Ägide stünde eine solche panafrikanische Nation, unter der eines Börsenmaklers aus New York, oder der eines afrikanischen Staatsmannes? Hätte jemand wie Angela Davis unter den Brüdern der Nation eine Chance, zur Sprecherin aufzusteigen?
Die Rezeption des Films im von Nationalitätskonflikten gebeutelten Europa verspricht interessant zu werden. Wie Rudi Dutschke noch vor zwanzig Jahren in „Black Power“ die „methodischen und inhaltlichen Voraussetzungen für eine richtige Lösung des Problems gegeben“ sah – die religiösen Impulse dieser letzten Reden geflissentlich übersehend –, scheint auch heute eine Kritik am rassisch motivierten Nationskonzept, am Mannsbild oder dem Antisemitismus des Malcolm X kontraindiziert.
Als sei Los Angeles die einzige Antwort, als gäbe es keine schwarze Intelligentsia, wurde bei der Berlinale-Premiere heftig geklatscht, als Malcolm einer weißen Studentin scharf Bescheid gab. Die hatte wissen wollen: Was kann eine Weiße ohne Vorurteile für Ihre Bewegung tun? Und der Vorbeirauschende: „Gar nichts.“ Mariam Niroumand
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