piwik no script img

"RAF-Konstruktion" bröselt weiter

■ Bundesanwaltschaft prüft, RAF-Vorwurf gegen Hafensträßler Cora Kammermeier und Karl-Heinz Gerum zurückzuziehen

gegen Hafensträßler Cora Kammermeier und Karl-Heinz Gerum zurückzuziehen

Die Bundesanwaltschaft (BAW) erwägt, die Fahndung nach den beiden HafensträßlerInnen Cora Kammermeier und Karl-Heinz Gerum wegen „Mitgliedschaft in der Roten-Armee-Fraktion“ (Paragraph 129a StGB) einzustellen. Das bestätigte gestern BAW-Sprecher Hans- Jürgen Förster der taz. Förster: „Es wird gerade von uns geprüft, ob die Haftbefehle in diesem Punkt aufzuheben sind.“ Die Haftbefehle wegen Urkundenfälschung, Waffenbesitz und Autodiebstahl werden allerdings aufrechterhalten.

Diese Wende ist eine fällige Konsequenz aus dem Revisionsprozeß gegen den 32jährigen Detmolder Holger Deilke, der am Montag in Hamburg begann. Deilke war am 7. Dezember 1989 im Zuge der Fahndung nach den Herrhausen-Attentätern mit Ute Hladki in Tönning (Husum) verhaftet worden.

Deilke und Hladki, die sich durch ihre Illegalität einem Prozeß entziehen wollten, sollen laut BAW mit Kammermeier und Gerum in Lasbek mehrere Monate eine konspirative Kate bewohnt haben. Während ihres Lebens im Untergrund sollen sie „RAF-typische Methoden“ angewandt haben, indem sie gestohlene Autos fuhren, falsche Papiere benutzten und bewaffnet gewesen waren.

Unmittelbar nach der Verhaftung Deilkes und Hladkis tauchten Cora Kammermeier und Karl-Heinz Gerum unter und werden seither als „RAF-Mitglieder“ gesucht. Im Oktober 1991 wurde Holger Deilke — das Verfahren gegen Ute Hladki ist wegen einer Verletzung ausgesetzt — zu drei Jahren Knast wegen „RAF-Mitgliedschaft“ verurteilt. Doch der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf. Begründung: Wer sich „RAF-Methoden“ bedient, ist nicht automatisch „RAF-Mitglied“.

Im Revisionsprozeß vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht sorgte Bundesanwalt Hans-Peter Bell am Montag für eine Überraschung. Er beantragte das 129a-Verfahren ganz einzustellen, weil Deilke weder eine „RAF-Mitgliedschaft“ noch „RAF-Unterstützung“ angelastet werden kann. Konsequenz: Wenn Deilke, den die BAW als Haupttäter einstufte, kein „RAF-Mitglied“ ist, können die mutmaßlichen Lasbeker Mitbewohner schon gar nicht der „RAF-Mitgliedschaft“ bezichtigt werden.

So sieht es auch Hans-Jürgen Förster. Dennoch, so der BAW- Sprecher, bleibt die Fahndung im Gange: „Da hängen ja noch anderen Dinge dran.“ Im Klartext: Die BAW möchte für alle Delikte, für die sie Deilke verantwortlich macht, auch Kammermeier und Gerum zur Rechenschaft ziehen.

Und das, obwohl die bei der Festnahme von Deilke und Hladki im Pkw gefundene Waffe Deilke zugeordnet wird. Förster: „Es wurde in Lasbek schließlich ein Holster gefunden.“ Ein Holster ist eine Ledertasche zum Tragen einer Waffe am Körper. Der offenkundige BAW-Trick: Solange Deilke nicht alle Straftaten auf sein Konto nimmt — nur dadurch kann die Justiz Deilkes 23monatige Untersuchungshaft rechtfertigen —, kann der Haftbefehl gegen die Hafensträßler nicht aufgehoben werden. Kai von Appen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen