: Lang, sanft, angepunkt
■ Der Waller Künstler Tom Gefken / Individualismus und Anarchie am Pinsel und am Baß
Der Mann ist unendlich lang. Das ist das erste, was an ihm auffällt. In der GaDeWe, der Waller Galerie, die er vor genau acht Jahren zusammen mit Heike Motschiedler gegründet hat, sitzt er auf dem Podest, das auch als Bühne taugt. Er streckt die sperrigen Beine nach vorn und hält eine Bierflasche in der Hand. Ab und zu wirft er einen Blick in die Runde, zu den Wänden, wo die Bilder hängen, die er gerade hier austellt. Tom Gefken ist Künstler und Musiker, Bassist.
Das hat weniger mit Lebensunterhalt als mit Lebensinhalt zu tun. Schon immer habe er sowas gemacht, sagt der gebürtige Waller, und meint damit das Krickeln und das Zeichnen, und daß er irgendwann anfing zu malen, und heute nicht mehr sagen kann, wann das eigentlich war. Klar war ihm nach der Schule, daß er kein Studium anfangen wollte, und dabei ist es geblieben. Sanitäts-Zivi wurde er, dann folgte eine Jobber-Karriere, bei der er die Sammlertätigkeiten bevorzugte. Lagerarbeiter war er, Umzugsfahrer, Entrümpler. Im Rahmen der Erwachsenenweiterbildung für Arbeitslose ließ er sich mit der Holzbildhauerei und diversen Drucktechniken vertraut machen.
Später hat er einmal versucht, an die Kunsthochschule zu kommen, aber die wollte ihn nicht, und das findet Tom Gefken im Nachhinein auch voll in Ordnung. Er streicht sich die hennagetönten Haare aus der Stirn und wirkt, als habe er tatsächlich keinen Grund, mit sich unzufrieden zu sein. Die Arbeiten, mit denen er sich damals bewarb, seien unausgegoren gewesen, ein Mischmasch, wie man es eben nicht machen sollte. Die Ablehnung hielt ihn ja nicht davon ab, seine Kunst weiterzuverfolgen.
Im Gegenteil: Er malte und malte und vollzog für sich die Malereigeschichte des letzten Jahrhunderts nach. Erst malte er Impressionen, wo er sich am Flirren des Lichts mühte, später expressiver, immer abstrakter. Das war vielleicht nicht weltbahnbrechend, aber für ihn blieb es eine Suche nach neuen Wegen sich auszudrücken.
Was Gefken besonders schätzt an der Malerei, ist die alleinige Gestaltungshoheit. Während er in der Musik, schon weil er sie nicht allein machen kann und will, gezwungen ist, sich mit seinen Mitmusikern und deren Kreativität und Unfähigkeiten abzufinden, also Kompromisse zu machen, fühlt er sich in der Malerei „absolut frei“. Die Freiheit vermittelt sich: Es gibt im Waller Szene-Sumpf Stimmen, die Gefken, dem „Individualisten mit Hang zum Anarchistischen“, Genie-Qualitäten nachsagen. Er selbst hält das für so übertrieben, daß er die knappen zwei Meter bis zur Haarwurzel rot wird.
Freuen tut ihn solche Nachrede - bisher zumindest ist Tom Gefken jung und unverkrampft geblieben, ein nüchterner Romantiker, dem die Träume im Kopf schwirren und das Wissen, wie schwer es diese Träume haben. Ein sanfter Riese auch, der die Öffentlichkeit seines Auftretens mit dem Charme einer gepflegten Schüchternheit paart. Ein angepunkter Überlebenskünstler, der sich nicht in Exzesse verliert, sondern im Leben auch seinen Spaß zu finden scheint.
Die sparsamen, kleinen Arbeiten, die Gefken derzeit ausstellt, beruhen auf Fundstücken. Gefken, der als Umzugsfahrer und Wohnungsentrümpler hunderte deutscher Wohnzimmer gesehen hat und all ihre Pracht und ihre sorgsam gerahmten Schmuckstücke an den Wänden, hat seiner Seziersucht — „schon als Kind hab ich die Matchbox- Autos auseinandergenommen“ — nachgegeben und die Rückseiten dieser Bilder benutzt, denen er seine eigenen, persönlichen Zeichen aufdruckte oder —malte. „Das Geile an diesen Sachen hier war, die Rahmen aufzumachen und zu schauen, was sich dahinter versteckt.“ Zufällige Strukturen versteckten sich und manchmal auch echte Überrreste einer vergangenen Realität, Zeitungsschnipsel, Widmungen — Zeichen, die ihre Syntax verloren haben.
Mit diesen Untergründen arbeitet er, schafft dem Verborgenen Öffentlichkeit und einen neuen Zusammenhang. Ein Schalk reitet durch diesen Zusammenhang, ein Augenzwinkern: „Leute, die über sich selbst nicht lachen können, die sollen keine Witze machen“, sagt Tom Gefken, der lange Mensch. step
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