: Tagt der Kongreß... oder tagt er nicht?
■ Oberster Sowjet will Jelzin hören
Moskau (taz) – Die Auseinandersetzungen über die Reform der russischen Verfassung wird immer undurchschaubarer. Nachdem bisher kaum jemand daran gezweifelt hatte, daß der Oberste Sowjet die Einberufung des obersten Verfassungsorgans, des Volksdeputiertenkongresses, für den 10. März beschließen wird, lehnten die Abgeordneten am Donnerstag nachmittag zweimal einen entsprechenden Antrag des Parlamentspräsidiums unter Jelzin-Gegner Chasbulatow ab. Viele Redner plädierten statt dessen dafür, zunächst Präsident Boris Jelzin anzuhören und erst danach eine Entscheidung über den Termin des Kongresses zu treffen.
Bei der außerordentlichen Sitzung des Volksdeputiertenkongresses soll über die Durchführung des Referendums über die zukünftige Gewaltenteilung Rußlands entschieden werden. Präsident Jelzin hält zumindest öffentlich an seinem Vorhaben fest, das Volk am 11. April entscheiden zu lassen. Er favorisiert eine Präsidialdemokratie, die ihn mit weitreichenden Vollmachten ausstattet. Die Legislative, unter Parlamentsvorsitzendem Ruslan Chasbulatow, besteht demgegenüber auf dem Modell einer parlamentarischen Demokratie.
Im Vorfeld der außerordentlichen Sitzung sammeln die Kontrahenten ihre Kohorten und überschütten einander mit Drohgebärden. Klar scheint zumindest eins: Keine der beiden Seiten ist sich ihrer Sache und ihrer Parteigänger wirklich sicher. Präsident Jelzin traf sich mit der Generalität, die ihn nach einem Bericht der Iswestija aufforderte, dem paralysierenden Zustand endlich ein Ende zu bereiten. In welchem Sinne das gemeint war, ob die Generalität geschlossen hinter Jelzin steht, blieb dabei offen. Denn auch das Militär stellt seit langem keinen homogenen Block mehr da. Jelzin sprach wiederholt von der Möglichkeit, den Ausnahmezustand zu verhängen. Die hitzige Reaktion Chasbulatows während der Parlamentssitzung legt allerdings nahe, daß das konservative Parlament befürchtet, die hohen Militärs könnten sich auf Jelzins Seite schlagen. Klaus-Helge Donath
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