: Die Frau muß auch mit...!
■ Ein Leben für den Kampf gegen den Alkoholismus. Elfriede Michael ist 40 Jahre bei den Bremer Guttemplern
Elfriede Michael, 70 rüstige Jahre alt, trat im Februar vor 40 Jahren dem Guttempler-Orden bei, um ihren alkoholabhängigen Mann in seiner Abstinenzkur zu unterstützen. Die taz besuchte sie in ihrer Wohnung in Bremen Lilienthal, wo Frau Michael seit dem Tod ihres Mannes vor drei Jahren alleine lebt, und ließ sich erzählen, was das für ein Menschenleben bedeutet: „sich ganz dem Orden zu verschreiben“.
hier bitte die
bürgerliche Frau
Elfriede Michael„Drei Kinder hatten wir damals, 1952, das vierte kam dann als erstes ohne Alkohol. Ich war 30 Jahre alt und mein Mann alkoholsüchtig seit Kriegsende. Damals galt Alkoholismus noch nicht als Krankheit, sondern als Willensschwäche, als moralischer Fehler. Wenn ich doch mal mit jemandem darüber redetete, dann hörte ich: laß dich doch scheiden!“
Zurückdenken darf man nicht, wenn man die Alkoholhölle durchgemacht hat. Es war zu grauenhaft, das nächtliche Warten auf ihn, und vor allem die immer wieder gebrochenen Versprechungen. Mein Mann war bei der Polizei, und ich war nicht nur wütend und verzweifelt über ihn, sondern auch über seine Kollegen, die ihn, wie ich meinte, zum Trinken verführten.
Und dann standen eines Tages zwei dieser Kollegen vor der Tür und kamen von den Guttemplern und es hieß: Die Frau muß auch mit! Ich dachte: was kann mir schon passieren, entweder es klappt jetzt, oder ich laß meinen Mann doch nun sausen. Der Eintritt bei den Guttemplern, der war dann wie eine neue Ehe.
Es war sehr feierlich, mit Kerzen, ich dachte schon, wir sollten jetzt niederknien, um das Gelübde zu sprechen, aber es war nur ein Ehrenwort mit Hand aufs Herz und das Versprechen, ein Leben lang keinen Alkohol mehr zu trinken. Bei mir im Haus ist auch alkoholfreie Zone, da bin ich eisenhart.
Im Orden sprechen wir uns mit Bruder und Schwester an. Das erste Mal nach so vielen Jahren konnte ich auch mal von mir reden. Und mein Mann — der ist nicht rückfällig geworden, der hat sich ganz der Arbeit des Ordens ergeben und später den Distrikt Bremen geführt. Ich war Schriftführerin und Kassenwart. Lange Zeit haben wir unsere Privatnummer als die Guttemplernummer angegeben, weil es bei uns noch keine Dienststelle gab. Da haben wir dann nächtelang im Nachthemd am Telefon gesessen. Wir haben aber auch selber Leute mit Alkoholproblemen haben angesprochen und aufgesucht. Früher durften ja alle Mitglieder ohne weiteres die Beratungstätigkeit ausführen. Heute macht man ein 120-Stunden-Seminar und bekommt dann das Prädikat: „Suchtgefährdetenhelfer.
Ich habe meinen Mann mit den Jahren immer besser verstanden, denn zuerst dachte ich nur: nun gut, endlich hat er's eingesehen, und ich war weiterhin mißtrauisch, hab immer geschnüffelt, ob er nicht doch getrunken hat. Erst später habe ich eingesehen, daß er nicht ein moralischer Schwächling war, weil er suchtkrank gewesen ist.
Meine Tochter hat mal zu mir gesagt, daß sie zu kurz gekommen sei, daß sich alles immer nur um die Guttempler gedreht habe, aber ich sagte ihr: Stell dir vor, was aus euch Kindern geworden wäre, wenn es die Guttempler nicht gäbe. Ich bin dem Orden so dankbar, ich leiste meinen Dank ab, ich würde den Orden niemals verlassen. Ich wüßte auch nicht, daß ich schon mal einen Montag gefehlt hätte. Montags treffen wir uns, in den Gemeinschaften mit 20 bis 25 Mitgliedern, wiederholen unser „Ritual“, das sind die festgeschriebenen Worte über unsere Arbeit, und dann wird gelesen und gesungen und gesprochen.
Mein Mann, der wollte immer alles bestimmen. Er war 13 jahre älter als ich und eine Persönlichkeit. Aber er hat lange nicht gemerkt, daß ich selbständig geworden war in der Zeit seiner Abhängigkeit. Trotzdem war es ein Kampf, als ich berufstätig wurde, da war ich 42 und fing ganz klein als Bürokauffrau in der Verbraucherzentrale an. Mit 48 erst habe ich meinen Fühererschein gemacht. Gut! wie stünde ich sonst jetzt da.
Überhaupt ist mein Leben in eine Krise geraten nach dem Tod meines Mannes. Ich hab ihn zuletzt gepflegt und bin nicht mehr in den Kegelclub gegangen und schließlich habe ich doch gewagt zu fragen: wer tut eigentlich was für mich?
In den ersten Jahren bei den Guttemplern, wenn da eine Frau gesagt hat: wenn mein Mann trinkt, dann ist das sein Problem — das konnte nicht verstehen, obwohl ich nie mit meinem Mann gesoffen habe. Heute wird nicht mehr so drauf gedrungen, daß die Ehepartner mit das Guttemplergelübde ablegen. Jetzt kann ich das auch verstehen. Ich bin ja erst zu meinem eigenen Ich gekommen, nachdem mein Mann gestorben ist, dabei hatte gedacht, daß ich mich in meiner langen Ehe emanzipiert hätte. Aber es war eben doch der Punkt, daß ich nicht um meiner selbst willen den Schritt zu den Guttemplern gemacht habe. Ich habe mir eingestanden, daß ich fast auf der Strecke geblieben wäre.
Nach dem Tod meines Mannes wurde ich geradezu seminarsüchtig. Die werden bei uns angeboten: Auf dem Weg zu mir — was will ich — und so weiter. Jetzt halte ich selber Vorträge: „Ich bin Ich!“ und bei meiner Ehrung zum 40-jährigen Jubiläum, wenn der Ordensvorsteheer aus Hamburg kommt und der Distriktstempler aus Bremen und 10 Mitglieder aus jeder Gemeinde, und ich Blumen bekomme und kleine Geschenke und vielleicht eine Urkunde (die nächste silberne Nadel gibts erst zum 50 Jubiläum), dann werde ich allen sagen: Eifert mir nach! — Denn man bleibt ja doch drin, weil es eine Berufung ist.
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