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Nur ein Euro-Muslim ist ein guter Muslim

Ein weiteres Buch des Politologen Bassam Tibi zum Islam  ■ Von Goltschehre Jung und Martina Sabra

Seit der in Syrien geborene Göttinger Politologe Bassam Tibi im Golfkrieg kometenhaft zum Orientexperten Nummer eins in Deutschland aufstieg, setzt der Araber und Muslim offenbar mehr auf Masse statt Klasse. Sein neuestes Buch „Die Verschwörung – Das Trauma der arabischen Politik“ ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg abendländischer Selbstfindung, die offensichtlich nur im Gegensatz zu einem imaginären Orient möglich zu sein scheint.

Dabei klingt der Titel durchaus vielversprechend: Die Aufforderung an die Araber zur Selbstkritik, zur nüchternen Betrachtung der eigenen historischen Niederlagen und hausgemachten Krisen stand immer – in der jüngeren Geschichte vor allem nach 1967 – im Mittelpunkt zahlreicher Debatten zwischen arabischen Intellektuellen. Doch gerade um diese hierzulande kaum wahrgenommene demokratische arabische Opposition, um die Menschenrechtsaktivisten und liberalen Denker geht es nicht bei Tibi. Sein Buch wirkt eher wie ein erneuter Rundumschlag gegen den „homo islamicus“, wie der französische Islamwissenschaftler Maxime Rodinson jenes dämonenhafte Wesen bezeichnete, welches das aufgeklärte Europa mit den Menschen im Orient assoziiert.

Tibis Prämissen sind folgende:

1.Der „Globalisierung“, sprich Vereinheitlichung der Welt durch Technologie und Kommunikation steht eine zunehmende „kulturelle Fragmentation“ gegenüber.

2.Das von Europa geprägte „kulturelle Projekt der Moderne“ ist universal gültig und erstrebenswert.

3.Der Islam ist ein homogenes „kulturelles System“ und als solches dem westlichen „kulturellen Projekt der Moderne“ fundamental entgegengesetzt.

4.Die Muslime schaffen den vollen Anschluß an diese Moderne, wenn sie die Säkularisierung nach europäischem Vorbild vollziehen.

5.Es gibt nur eine „Moderne“, aus der sich eine „Vormoderne“ ableiten läßt.

Der Verfolgungswahn der Araber beginnt laut Tibi 1916 mit dem Versprechen Englands und Frankreichs, den Arabern für ihre Mithilfe gegen die Osmanen ein unabhängiges Königreich zu geben. Ein Traum, der jäh zerplatzte, denn hinter verschlossenen Türen hatten die Unterhändler Sykes und Picot längst beschlossen, die arabischen Gebiete des Osmanischen Reiches zwischen Frankreich und England aufzuteilen. Seither, so der Autor, litten die Araber unter dem „Syndrom einer gegen sie gerichteten westlichen Verschwörung“. Dies sei der „Schlüssel zum Verständnis nahöstlicher Politik“. Eine völlige Überreaktion der Araber, meint der Autor, denn die Briten und der Scherif von Mekka hätten 1916 doch lediglich versucht, „sich in Wahrnehmung ihrer eigenen Interessen gegenseitig übers Ohr zu hauen“. Kolonialismus als Kavaliersdelikt: Sind die Araber also selber schuld an 200 Jahren westlichem Kolonialismus? Die europäische Seele ist beruhigt, denn, so der Autor weiter, „der arabische Orient wäre auch dann unterentwickelt geblieben, wenn er nicht kolonisiert worden wäre. Es ist schon längst überholt, alles mit dem abgedroschenen Hinweis auf das koloniale Erbe zu erklären“.

Was aber, wenn nicht das koloniale Erbe, wenn nicht die ungerechte Weltwirtschaftsordnung, wenn nicht die jede politische Initiative im Keim erstickenden arabischen Regime, sind Ursachen für die arabische Unterentwicklung? Ganz einfach laut Tibi: Es ist das Beharren der vormodern denkenden Araber auf ihrer „islamischen Mentalität“ = Sozialsystem = politische Kultur = „islamische Despotie“ = alles „islamisch“. Tibi, der einsame Rufer in der Wüste, hat aber nicht nur den Arabern, sondern vor allem den Europäern Lebenswichtiges mitzuteilen: Sie müssen dringend und schon allein aus eigenem Interesse „Verständnis für das gegen sie gerichtete Verschwörungsdenken entwickeln“ – ohne jedoch ihre eigene politisch-kulturelle Identität in Frage zu stellen. Denn, so Tibi, islamische Fundamentalisten seien dabei, weltweit mehr als eine Milliarde Muslime gegen das europäische „kulturelle Projekt der Moderne zu mobilisieren“. Und noch schlimmer: sie sitzen schon mitten unter uns, in Gestalt von „10 Millionen Gastarbeitern und Asylanten, die die liberale Freiheit für antidemokratische Aktivitäten mißbrauchen“.

Auf über mehr als 300 Seiten jongliert der Autor mit arabisch-islamischer Terminologie, reißt Begriffe aus dem Kontext islamischer Philosophie und Theologie, um sie dann zusammenhanglos in seinen Thesen als Beweis einzusetzen. Die Verschwörungsängste der Araber rühren natürlich von „Kismet“ her, der angeblich islamischen Schicksalsergebenheit. Um eventuellen Einwänden zu begegnen, erwähnt Tibi zwar jene Stellen im Koran, die den Menschen zum eigenständigen und verantwortungsbewußten Handeln aufrufen, macht aber diese Maxime der koranischen Gott-Mensch-Beziehung sogleich zunichte, indem er das Zauberwort „Makhluq“ d.h. das „Geschöpf Gottes“ ins Spiel bringt, das dem Willen Gottes ausgeliefert sei.

Überzeugt davon, daß Muslime und Araber weder rational denken noch Religion und Politik trennen, spielt der Autor die lange Tradition des arabisch-islamischen Rationalismus, vor allem der seit dem 8. Jahrhundert staatstragenden Rechtsschule „Mu'tazila“ bis zur Bedeutungslosigkeit herunter. Moderne islamische Reformer wie Muhammad Abdu oder Tahar Haddad werden dem Leser gänzlich vorenthalten. Über die Frage, ob es eine islamische „Aufklärung“ gegeben hat, wird noch geforscht. Aber da der Islam die Institution „Kirche“ nicht kennt, kann man sich fragen, ob Muslime überhaupt je ein Bedürfnis nach einer Säkularisierung im europäischem Muster hatten. Ganz abgesehen davon, daß diese in den meisten islamisch geprägten Ländern auf Verfassungsebene de facto längst stattgefunden hat – mit Zustimmung der Mehrheit der muslimischen Bürger.

Die Aufteilung der Welt in eine „moderne“ und eine „vormoderne“ Sphäre ersetzt den alten, biologisch begründeten, durch einen neuen, „kulturellen“ Rassismus. Dieser „Kulturalismus“ betrifft nicht nur Rassisten aus der rechten Ecke, sondern auch manche Linke, die universale Werte wie die Menschenrechte für kulturabhängig halten. Der kulturalistische Blick auf die Welt von Marokko bis Afghanistan, den „Orient“, vernebelt Tibi dermaßen die Sicht, daß er, der ausgewiesene Kenner des Orients, selbst beim Zusammentreffen mit der Arabischen Menschenrechtsorganisation AOHR (ein Pendant zu ai) 1983 auf Zypern feststellen muß, diese „orientalische Welt“ sei ihm „fremd geworden“.

Woher also soll für die unbelehrbaren Muslime (und besonders natürlich für die bedrohten Europäer) die Rettung kommen? Die Antwort steht zwar nicht im Buch, aber dafür in einem seiner FAZ-Artikel: Da legt Tibi den europäischen Regierungen ans Herz, islamische Migranten zu integrieren. Diese, zu Euro-Muslimen umgewandelt, könnten dann als Vorbilder für ihre Herkunftsländer dienen. Und das, während mitten im modernen, aufgeklärten Europa ein Völkermord an den Euro- Muslimen begangen wird. Ach Tibi! Na'udhu billah – Gott steh uns bei!

Bassam Tibi: „Die Verschwörung – Das Trauma der arabischen Politik“. Hoffmann und Campe 1993. 368 Seiten, 38,-DM

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