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Geballt schwule Thematik

■ Die erste neue Schmidt-Show in einer Scharbeutzer Sauna war für das Saalpublikum keine ungetrübte Freude - eine Hinterkamerareportage

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Scharbeutzer Sauna war für das

Saalpublikum keine ungetrübte Freude -

eine Hinterkamerareportage

„Klatscht bitte auch dann, wenn ihr etwas nicht verstanden habt. Die Beschallung ist hier leider nicht so einfach.“ Corny Littmann bereitet das Publikum auf die Live-Übertragung der Schmidt-Mitternachtsshow vor. Im geringelten Badeanzug steht er inmitten der Saunalandschaft der Ostseetherme Scharbeutz. Um ihn herum Kameraleute und ein Schwarm von Fotografen. Alle Anwesenden haben die Garderobenordnung eingehalten: Badekleidung in biederen und tuntigen Variationen, viel nackte Haut. Noch 18 Minuten bis zur Sendung.

An der Treppe versucht eine Frau, doch noch den ersehnten

1Platz in der Saunalandschaft zu ergattern. Mit einem Sektglas in der Hand will sie ganz souverän an den Aufsichtskräften vorbeiziehen. Denn dort oben, fern von den gemeinen Zuschauern, spielt sich fast die gesamte Sendung ab. Die 500 Zuschauer in der Schwimmhalle bekommen für 50 Mark Eintritt lediglich zwei Lieder der Abba-Revival- Band und ein Unterwasserorchester zu sehen. Alles andere können sie nur auf einer Leinwand verfolgen.

Doch die Wächter an der Treppe durchschauen den Trick der Frau. Sie muß beim „Fußvolk“ bleiben. „Ich bin ganz schön sauer,“ empört sich Corny Littmann in der

1Garderobe. „Wir fanden die Bedingungen schon in der Saunalandschaft so schlecht, daß wir unser Kartenkontingent umsonst abgegeben haben. Und die Leute von der Ostseetherme nehmen für die Plätze im Schwimmbad diesen Wahnsinnspreis.“

Noch fünf Minuten. Mit einer schauerlichen Badekappe und Schwimmreifen verwandelt sich Corny Littmann in „Herrn Schmidt“. „Jetzt keine Fotos mehr! Ruhe bitte!“ Als der Vorspann läuft, stehen trotz Badekleidung längst alle Mitarbeiter im Schweiße. Es wird hektisch. Vier bewegliche Kameraleute und ihre Kabelträger folgen Herrn Schmidt im Laufschritt von einer Sauna in die andere. Die mitgezogenen Kabel reißen zahlreiche Gläser um. Für die Kulisse der Sex-Spiel-Show müssen über zwanzig Gäste samt Stühlen in eine andere Ecke umziehen.

Die Einlage der Sex-Spiel-Show und eine Erotik-Szene zweier Männer unter der Dusche kommen dem Motto von Herrn Schmidt im neuen Gewand der Mitternachtsshow am nächsten. Als „öffentlich- rechtlich homosexuell“ moderiert er diesmal allein und will nun wieder provozieren wie zu den Anfängen der Show. Neue Frische ist drin, doch zu viele Szenen werden zu kurz angerissen. Die geballt schwule Thematik wirkt verkrampft. Als im Whirlpool „Hausfrauen fragen - Schwule antworten“, verkommt diese zur Banalität. Die Zuschauer vor Ort bleiben auch bei diesem Gespräch außen vor: Der Ton fehlt. Das schafft Unruhe, aber nicht so viel, wie die Antwort des Pornostars Rocco Siffredi an den zu Hochform warmgetalkten Herrn Schmidt, er brauche bei seinen Aufnahmen keine Kondome zu benutzen, schließlich würde er regelmäßig auf Aids getestet.

Die schwüle Hitze wird unangenehm. Eine Assistentin besprüht Herrn Schmidt mit kaltem Wasser, die Gäste kleben schweißnaß auf ihren Stühlen. Auch der Mann in der ersten Reihe, der sich mit seinem furiosen Fummel wohl für eine Großaufnahme aufzwingen wollte, hat seine hübsche Blätterkrone längst abgesetzt. Dankbar nehmen alle das Angebot an, Herrn Schmidt zum Schlußbild ins große Schwimmbecken zu folgen. Nun hat das Schwimmbadpublikum doch noch die Möglichkeit, Herrn Schmidt, den Kabarettisten Dirk Bach, die niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn und all die anderen Stars und Sternchen ganz aus der Nähe zu erleben.

Während die Kameraleute ihre Kabel einrollen, Herr Schmidt sich in der Garderobe längst wieder in Corny Littmann zurückverwandelt hat, üben Zuschauer in den Umkleidekabinen Kritik. Für eine Dame waren „Frau Jaschke und die Wanders viel zu wenig zu sehen.“ Ihr kann geholfen werden. In der Aprilsendung moderiert Lilo Wanders im vertrauten Tivoli ihre eigene fiktive Filmvergangenheit. Einer der Gäste weiß auch schon, wo er bei dieser Sendung sein wird: „Zu Hause. Da sitzen wir besser und kriegen dann auch wirklich alles mit.“ Werner Hinzpeter

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