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„Eine frohe Botschaft“ für TürkInnen

■ Veranstaltung der türkischen Sozialdemokraten zum sogenannten Kus-Urteil

Kreuzberg. „Ich bringe eine frohe Botschaft“ – ausgerechnet mit einem umgewandelten Bibelwort begann der türkische Politologe Dr. Harun Gümrükcü von der Universität Hamburg am Wochenende seinen Vortrag im Kreuzberger Vereinslokal der Türkischen Sozialdemokraten. Die frohe Botschaft bestand in der Zuerkennung eines „Quasi-EG-Rechtsstatus“ für türkische Berufstätige durch zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofs. Allerdings, so gab der Referent zu, weigern sich Bundes- und Landesregierungen bisher, daraus auch tatsächliche Konsequenzen zu ziehen.

Im sogenannten Sevince-Urteil habe das höchste europäische Gericht schon im September 1990 entschieden, so Gümrükcü, daß die Assoziierungsverträge zwischen der Türkei und der EG von 1976 und 1980 Bestandteil des Europarechts sind. In der zweiten Entscheidung, die am 16. Dezember 1992 den Rechtsstreit zwischen dem türkischen Arbeitnehmer Kazim Kus und der Stadt Wiesbaden vorläufig beendete, sei diese Auffassung nochmal bestätigt worden. Dem seit 1980 in Deutschland weilenden türkischen Arbeitsimmigranten Kus (gesprochen: Kusch) hatte die Ausländerbehörde von Wiesbaden die Abschiebung angedroht, weil er nach nur einjähriger Ehe mit einer Deutschen keinen Rechtsanspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis mehr habe.

Das Gericht in Straßburg sah das anders: Wenn jemand nach nämlichem Assoziierungsvertrag eine Arbeitserlaubnis erhalte, dann sei ihm, solange er weiter bei derselben Firma beschäftigt sei, auch ein legaler Aufenthaltsstatus zu gewähren. „Denn sonst müßte ein hier arbeitender Türke jeden Abend zurück in die Türkei fahren“, so der Referent. Mit diesem Urteil werde das restriktive Ausländergesetz in solchen Fällen außer Kraft gesetzt. Türkische ArbeitnehmerInnen seien damit nach den EG-BürgerInnen zur rechtlich am zweitbesten gestellten Gruppe avanciert.

Wenn dabei die deutschen Behörden mitspielen würden. In einem Brief vom 10. Februar, berichtete der im Auftrag des DGB forschende Wissenschaftler, habe Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) die Bundesländer gebeten, das Kus-Urteil nicht anzuwenden. Die Bundesregierung werde bald selbst einen Ausführungserlaß anordnen. Gümrükcü wertete das optimistisch als „Rückzieher“, hatte das Bonner Ministerium doch zuvor in Schriftsätzen immer wieder die juristische Position vertreten, es gebe keinerlei Zusammenhang zwischen Arbeits- und Aufenthaltsrechten. Skepsis bleibt jedoch weiterhin angebracht: Selbst wenn Seiters den Richterspruch so positiv wie möglich auslegen läßt – was eh nicht passieren wird –, hält das kein örtliches Gericht vor einer anderen Entscheidung zurück. Und bis ein Kläger dann vor einer anderen Instanz Recht bekommt, können Jahre vergehen.

Auch der Referent gab in der Diskussion zu, daß hier noch viel Arbeit zu leisten ist: „Wir müssen mit verschiedenen Aktionen Widerstand leisten. Zum Beispiel unseren Europaabgeordneten schreiben, Stellungnahmen der EG- Kommission verlangen und Öffentlichkeit herstellen.“ Die deutsche Gesellschaft, stöhnte er am Ende, „zwingt uns alle, kleine Juristen zu werden“. Diese Botschaft klang schon weniger froh. usche

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