: Viertausend Seiten Kritik am Schacht Konrad
■ Der Erörterungstermin für das Atommüllendlager in Niedersachsen ist zu Ende
Hannover (taz) – Am Samstag nachmittag sprach der Verhandlungsleiter aus dem niedersächsischen Umweltministerium, Christoph Schmidt-Eriksen, schließlich die letzten Worte: „Ich freue mich, den Erörterungstermin beenden zu dürfen.“ Bis auf drei Unentwegte hatten die Einwender gegen das Atommüllendlager Schacht Konrad den mit 75 Verhandlungstagen bisher längsten atomrechtlichen Erörterungstermin schon eine halbe Stunde früher abgeschlossen; unter Trommeln, Pfeifen und Klatschen waren etwa 300 Konrad-Gegner kurz vor 13 Uhr aus der ehemaligen Tennishalle in Wedtlenstedt ausgezogen, um nun wieder draußen, auf der Straße, zu demonstrieren.
Mehr als viertausend Seiten Protokoll bleiben von dem Erörterungstermin, der am 25. Oktober vergangenen Jahres in Salzgitter begonnen hatte und dann später in das Örtchen Wedtlenstedt bei Peine verlegt wurde. Die Niederschrift enthält in erster Linie bereits bekannte Einsprüche gegen das Endlager, das einmal 95 Prozent des bundesdeutschen Atommülls aufnehmen soll. „Wir mußten im Erörterungstermin natürlich alles noch einmal zu Protokoll geben“, sagt der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad, Claus Schröder. Schließlich sei die Genehmigungsbehörde zwingend verpflichtet, alle protokollierten Einwände bei ihrer Entscheidung auch zu berücksichtigen. „Insgesamt zufrieden“ ist Schröder mit dem Erörterungstermin. Bis zum bitteren Ende seien alle Argumente gegen das Endlager vorgetragen worden. Das Bundesamt für Strahlenschutz habe in den entscheidenden Fragen wie der der Langzeitsicherheit des Endlagers keine neuen Erkenntnisse vorgelegt.
Zufrieden gibt sich aber auch das Bundesamt selbst. „Konrad ist hervorragend geeignet, um als Endlager für radioaktiven Abfall mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung zu dienen“, lautet für den Antragsteller das „Fazit“ der Erörterung. Dies allerdings sieht die Genehmigungsbehörde, das niedersächsische Umweltministerium, anders. Für das Ministerium sind etwa die Kontrolle der einzulagernden Abfälle, die Langzeitsicherheit des Endlagers und die Strahlenbelastung der Umgebung weiterhin „nicht geklärt“.
Die mangelnde Kontrolle der aus dem Ausland zurückkommenden Wiederaufarbeitungsabfälle wirft etwa für Umweltministerin Monika Griefahn (SPD) die Frage auf, ob diese Abfälle überhaupt in der ausgedienten Eisenerzgrube eingelagert werden können; etwa 45 Prozent aller Konrad-Abfälle sollen aus der Auslandswiederaufarbeitung stammen. Bei der sich über Tage hinziehenden Erörterung der „Produktkontrolle“ hatte das Bundesamt für Strahlenschutz nicht deutlich machen können, wie es den Inhalt der aus dem Ausland angelieferten Abfallcontainer wirksam überprüfen will. Bei der Verpackung des Abfalls im Ausland können mit Prüfungsrechten ausgestattete deutsche Beamte nicht tätig werden. Eine systematische Untersuchung der ankommenden Abfälle ist nicht vorgesehen. Denn dazu müßten die endlagerfähig ankommenden Abfallgebinde wieder zerstört werden.
Die Langzeitsicherheit des Endlagers will das Bundesamt für Strahlenschutz durch Modellrechnungen über die Ausbreitung des radioaktiv verseuchten Wassers im Untergrund nachgewiesen haben – mit dem Ergebnis, daß „innerhalb von 10.000 Jahren keine Strahlenexposition in der Biosphäre“ zu erwarten sein soll. In der Erörterung wurde die Methodik dieser Modellrechnungen, ihre ungenügende geologische Datenbasis und die mangelnde Nachvollziehbarkeit der verschiedenen Rechnungen des Bundesamtes kritisiert; nach Auffassung der Einwender kann auch über alte Bohrungen radioaktives Wasser viel schneller an die Oberfläche gelangen, als das Bundesamt dies annimmt. Daß Radioaktivität auch über die in jeder Deponie entstehenden Fäulnisgase durch den Untergrund transportiert werden kann, hat das Bundesamt in seinem Antrag offenbar überhaupt nicht berücksichtigt.
Klärungsbedürftig ist für Niedersachsens Umweltministerin Griefahn auch noch die Ableitung radioaktiver Wässer während der Einlagerungszeit. Hier fehlt sogar noch der Antrag für die entsprechende „wasserrechtliche Erlaubnis“. Mit einem Planfeststellungsbeschluß, also einer endgültigen Entscheidung über das Endlager, rechnet die niedersächsische Umweltministerin frühestens 1995.
Das Strahlenschutzamt des Bundesumweltministers geht allerdings schon jetzt von „einem positiven Planfeststellungsbeschluß spätestens Anfang 1994“ aus, also noch vor der nächsten Wahl in Niedersachsen. Die bekannten über bundesaufsichtliche Weisungen ausgetragenen Konflikte zwischen Bonn und Hannover scheinen damit erneut programmiert. Jürgen Voges
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