: Jäger-90-Kosten außer Kontrolle
Verteidigungsministerium fehlt Übersicht über Kostenentwicklung/ In diesem Jahr 450-Millionen-Loch im Rüstungsetat/ MTU und MBB ignorierten Auflagen zur Kostenkontrolle ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack
Wann der in „Eurofighter 2000“ umgetaufte Jäger 90 zu seinem ersten Flug starten wird, ist unklar. Fest steht hingegen, daß seine Entwicklung spätestens Mitte des Jahres den Etatansatz im Verteidigungshaushalt sprengen wird.
Das geht aus einem vertraulichen Prüfbericht von Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) hervor, der seit Mittwoch dem Verteidigungsausschuß des Bundestages vorliegt. Danach klafft in Rühes Jäger-Etat in diesem Jahr ein Loch von mindestens 450 Millionen Mark. Sollte der Minister mit seiner Absicht scheitern, das Projekt umzusteuern und zu verlangsamen, klettert der Fehlbetrag sogar auf 700 Millionen Mark. Auf jeden Fall, so der Bericht, reichten die bisher für 1993 veranschlagten 520 Millionen Mark „nach derzeitiger Vertragslage nur bis Mitte 1993“.
Den Termin des ersten Probeflugs mußte die Industrie wegen technischer Probleme bereits mehrfach verschieben: von Dezember 1992 zunächst auf „April/ Mai 1993“ und inzwischen auf Mitte 1993. Gleichzeitig, das belegt der Bericht, sind die Jäger-Kosten in ständigem Steigflug begriffen. Daß sich die Schere zwischen Preis und Leistung immer weiter öffnet, braucht die deutschen Hauptauftragnehmer MBB und MTU dennoch nicht zu stören: Eine „Kostenkontrolle im Sinne einer verknüpften Betrachtung von Kosten, Leistung und Terminen“, so Rühes Prüfer, existiere „auch heute nicht“.
Dieser Umstand ist um so erstaunlicher, als im Verteidigungsministerium bereits vor Vertragsschließung mit der Industrie am 23.11.1988 bekannt war, daß die Flugzeugentwicklung „erhebliche Kostenrisiken“ mit sich bringen würde. Im Frühjahr 1989 bezifferte der zuständige Projektreferent des Ministeriums die mögliche Kostenüberschreitung auf etwa eine Milliarde Mark. Der damalige Rüstungsstaatssekretär Timmermann wies im Herbst 1988 laut Prüfbericht darauf hin, „daß das Vorhaben nur realisierbar sei, wenn Kostenrisiken durch eine wirksame Kostenkontrolle abgebaut werden könnten“.
Diese Absichtserklärungen wurden jedoch nie umgesetzt. Die bisher als deutscher Anteil an den Entwicklungskosten festgelegten 5,85 Milliarden Mark wurden in den Verträgen nie unumstößlich fixiert.
Die Industrie verpflichtete sich zwar, zur Kostenkontrolle ein EDV-gestütztes Projektmanagementsystem namens „Artemis“ einzusetzen, scherte sich aber nach Erkenntnis der Prüfer wenig um diese Zusage. „Über die Jahre“ habe sie diese Verpflichtung jedenfalls „nicht voll erfüllt“. Auch der Auflage, jährlich eine Prognose über die bis zum Programmabschluß noch zu erwartenden Kosten abzuliefern, seien MBB und MTU „nicht nachgekommen“.
Im Verteidigungsministerium sah man einen sparsamen Umgang mit Steuergeldern ebenfalls nie als vordringliche Aufgabe an. Obwohl der zuständige Projektreferent bereits Ende 1990 seinem Vorgesetzten berichtete, daß er aufgrund der fehlenden Kooperation der Industrie „nicht in der Lage sei, seine Kontrollfunktion im erforderlichen Umfang wahrzunehmen“, habe sich „an diesem Zustand bis heute grundsätzlich nichts geändert“, schreiben die Prüfer. Und: Nach wie vor sei in dem fünftausend Mitarbeiter zählenden Ministerium „lediglich ein einziger Referent“ mit der Kostenkontrolle beim Jäger-Programm „befaßt“.
Pech für Rühe, daß sein Sparkurs auch von den Partnerländern Großbritannien, Italien und Spanien nur begrenzt unterstützt wird. Auf einer internen Sitzung in München am 16. Dezember 1992 habe es wegen der deutschen Zahlungsprobleme bereits „erhebliche Auseinandersetzungen“ mit den Partnerländern gegeben, heißt es in einem Vermerk aus dem Verteidigungsministerium vom 17. Dezember.
Daß Rühe den deutschen Jäger- Etat für 1993 von 820 auf 520 gekürzt habe, führe zu der „Nichterfüllung vertraglicher Verpflichtungen Deutschlands bereits ab Januar 1993“. Grund: Die vom Bundestag bisher entsperrten 120 Millionen Mark reichen nicht einmal aus, um zwei Rechnungen in Höhe von insgesamt 180 Millionen zu begleichen, die – weil schon damals das Geld nicht reichte – noch aus 1992 offen sind.
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