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Tenzones pour calzones: Les Fab Trobs

Feudalästhetisches Gesinge im Dienste der Frauen: Ein französischer Freizeitforscher findet zum Rap  ■ Von Ulrich Patzwahl

Als im Jahre 1229 die Albigenserkriege, benannt nach der südfranzösischen Stadt Albi, zu Ende waren, als die häretischen Katharer im päpstlichen Sinne massakriert, nicht aber beerdigt worden waren, als die Einwohner von Albi, Tolosa (Toulouse) und ein paar anderen ketzerischen Städten also eines Besseren belehrt und vor allem bekehrt worden waren – da war es auch mit den Trobadoren vorbei.

Mit den Trobadoren wohlgemerkt, mit „o“, nicht mit „ou“. Nur in Paris hießen sie damals schon Troubadoure (wie der Romanistikstudent weiß, wenn er einmal wegen so einer blöden Frage durch die Zwischenprüfung gefallen ist). Vorbei war es also mit dem feudal- ästhetischen Gesinge, dem „Frauendienst“, den „tenzones“, den Streitgedichten zweier Trobadore, vorbei mit der Poesie nach Schemen der Bernart de Ventador, Raiman d'Avinhon, Bertran de Born.

Vieles von dem wenigen Erhaltenen hat seinen Weg in die Bibliotheken und Zwischenprüfungen des 20. Jahrhunderts nur über spanische, italienische oder – schlimmstenfalls – Pariser Überlieferungen gefunden. Manches ist aber auch aufgegangen in der lokalen und regionalen Folklore von Frankreichs Südhälfte, in den „batestas“ und „escamesas“ des Languedoc. Claude Sicre hat es dort gefunden.

Claude Sicre ist zirka vierzig Jahre alt und wohnt in Toulouse. Er hat zwei Diplome, eines in Ethnolinguistik, eines in Musikologie, und außerdem einen Magisterabschluß in Philosophie. Insgesamt sind das drei abgeschlossene, volle Studiengänge für nur einen Lebenslauf – dem damit natürlich jede Gradlinigkeit abgeht. Claude Sicres Bewerbungen im akademischen Bereich wurden selten zu Ende gelesen und nie positiv beantwortet – was sich als erste günstige Voraussetzung für seine Lebensplanung herausstellte. Er mußte sich keine größere Wohnung suchen und konnte weiter mit Selbstverfaßtem und Selbstvorgetragenem die Touristen in der Toulouser Altstadt erschrecken – oder auch anlocken: „Venez manger midi et soir au Don Camillo!“ – „Eßt mittags und abends bei Don Camillo!“ Wer mochte an der Pizzeria gleichen Namens und ihrem singenden Vorposten mit den öligen Haaren, den dicken Brillengläsern und dem einsam scheppernden Tamburin ungerührt vorbeigehen? Vergolten wurde der Werbeeinsatz mit Pizza, Nudeln und Wein auf Don Camillos Kosten. Gesang gegen Gastrecht also, eine wiederbelebte mittelalterliche Tradition – im weitesten Sinne.

Claude Sicre paßte das in den Kram. Er hatte zu dem Zeitpunkt, Anfang der achtziger Jahre, sein Repertoire erweitert. Zu den Pizzalobliedern waren die „canevas“ gekommen – je nach Publikumsreaktion improvisierte, gesprochene oder gesungene Verse – und die „chansons dialoguees“, Streitgespräche Toulouser Art, die Sicre gemeinsam mit Sangesfreund Ange Bofareu zum besten gab und bei denen es sich mit einiger Wahrscheinlichkeit um direkte Abkömmlinge der tenzones. handelt.

Sicre begann, sich für das Original, das Lied der Trobadore, zu interessieren und stellte bald fest, daß es da kein leichtes Rankommen gab. Waren des Trobadors Verse und ihre okzitanische Sprache rekonstruier- und erlernbar, so blieb doch ein Rätsel, wie das Ganze gesungen werden sollte – Noten kannten die Trobadore noch nicht.

Im Moment der Ratlosigkeit trugen die im kombinierten Musikologie- und Ethnolinguistikstudium erworbenen Fertigkeiten ihre späten Früchte. Sicre forschte hier, forschte da, verglich regionale südfranzösische Sangesbräuche mit denen in Portugal (wo einige der überlebenden Trobadore ehedem Zuflucht gefunden hatten) und machte auf diese Weise, Schritt für Schritt, des Trobadors Töne wieder flott: abgehackt trug der, so fand Sicre heraus, seine Reime vor. Rhythmus zählte mehr als Melodie, Text mehr als Stimme. Möglichst viel origineller Inhalt mußte in möglichst wenig Zeit gesungen werden können, mitunter gar zu zweit; auf daß die gelungenere Interpretation ihrem Interpreten eine Sprosse Vorsprung im Balkonleiterklettern der „Frauenkunst“ verschaffte.

Sicre war stolz auf die wiedergefundene Technik, widmete ihr einen Aufsatz in einer Fachzeitschrift für Linguisten, machte parallel zu den überlieferten Texten ein paar lustige eigene und begab sich schließlich zurück in die Toulouser Altstadt – um zu singen. Das ging so lange gut, bis er eines Tages ein offenkundiges Plagiat seiner eigenen Musik im Radio hörte. Was da in einer Sprache gesungen wurde, die Sicre nicht verstand, war Rap aus New York und Jamaika. Paris und Okzitanien waren ihm innerhalb kürzester Zeit untertan.

Claude Sicre ärgerte sich über den Erfolg der Rapper nur kurz, dann sprang er auf den Zug auf, der sein eigener hätte sein sollen: Sich selbst gab er den Titel „Dr.

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Cachou“, zu deutsch etwa „Dr. Lakritze“; der Nachname von Co- Trobador Ange Bofareu wurde auf ein „B.“ reduziert, und den beiden gemeinsam ist seitdem die Bezeichnung „Fabulous Trobadors“, was nicht nur als Witz, sondern auch als etymologischer Fingerzeig zu verstehen ist: das raptypische „fabulous“ geht, wie fast alle anderen englischen Wörter, die auf -ous enden, auf den entsprechenden Begriff im Okzitanischen zurück.

Der weitere Werdegang der Fabulous Trobadors, der Weg zum Ruhm nämlich, ist schnell erzählt. Er hat vor allem zwei Gründe: erstens griff Sicre ausschließlich diejenigen unter den mittelalterlichen Trobadortexten auf, in denen er ein Stück seiner eigenen postmodernen Identität wiederfand. Dazu gehört beispielsweise Raiman d'Avinhons „Sirvens Sui“, in dem dieser alle Berufe aufzählte, die ihm aus dem Selbstversuch bekannt waren. Zweitens sind die neuen, eigenen Texte deutlich einer regionalen Hörerschaft zugetan und beschreiben also auch regionale Besonderheiten: „Cachou Lajaunie“ etwa ist eine Hymne auf die winzigen Salmiakpastillen gleichen Namens, deren Herstellung erstmals dem Toulouser Apotheker Dr. Lajaunie vor mehr als hundert Jahren gelang, und die sich längst in der unverändert unpraktischen gelben Metalldose überall und auch an Pariser Tankstellen verkaufen.

Von einer Weiterentwicklung ihres musikalischen Konzeptes konnten die Fabulous Trobadors bis heute absehen. Die schlichte Besetzung (vocals, tambourine, vocals) erwies sich als schlagkräftig und improvisationstauglich: „Cachou Lajaunie“ wurde für das bislang einzige Album während eines Straßenkonzerts aufgenommen, für das die Fab Trob – als kleines Revanche-Foul – New York City persönlich heimsuchten. „Era Pas De Faire“ heißt die Platte, auf deutsch: „Hätte man sich sparen können.“

Seit dem Erscheinen, im Frühjahr '92, hat „Era Pas De Faire“ eine erstaunliche Kariere in den Independent-Charts hingelegt. Im Dezember war das Album in Frankreich auf Platz 10, eins vor Brian Eno, und nach Ansicht der Pariser Rap- und Rub-A-Dub- Szene sind die Fabulous Trobadors zur Zeit eben einfach grell, oder so. Kommerzielle Konzerte wird es in diesem Jahr in Paris und überall in Frankreich geben, auch in Belgien, vielleicht auch in England, nach einem mittleren britischen Presserummel und 25 Feature-Minuten im BBC-Fernsehen.

Schutz und Zuflucht findet Claude Sicre aber, so bedeutet er im Gespräch, „allein jenseits der ,Ligne Imaginot‘“, der imaginären Achse Bordeaux–Marseille, in Frankreichs so vielgeschmähtem, so rückständig wie ländlichem Südwesten, der seit 700 Jahren im Prinzip nur dann eine Rolle spielt, wenn die Tour de France mal auf einer Bergetappe in den Pyrenäen entschieden wird.

Fabulous Trobadors: „Era Pas De Faire“. CD/ Kassette, Bondage 9245, Bondage-Records, 17, Rue de Montreuil, 75011 Paris

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