: Linker Untergrund bei Taschenbuchmulti Heyne
■ In den USA war sie vergriffen, in Deutschland nicht zu haben - Malcolm X authorisierte Biographie durch Bremer Verlag bei Heyne
Zu unverhoffter Publizität hat der Rummel um Hollywoods neuestes Heldenepos, "Malcolm X" von Spike Lee, dem kleinen Bremer Agipa Press- Verlag verholfen: Zwei Jahre hatte der linke Verlag bereits an der Neuübersetzung und Herausgabe der Autobiographie von Malcolm X gearbeitet, als die Nachricht über Spike Lees Film aus der linken Minderheitenlektüre über Nacht "das Buch zum Film" machte. In einem Blitzgeschäft erwarb der Heyne- Verlag von Agipa-Press die Taschenbuchrechte (die Hardcover-Ausgabe ist gerade erst im Januar 93 erschienen) und warf das Buch - gerade noch rechtzeitig zum Filmstart - in mehreren zehntausend Exemplaren auf den Markt. 1990, als Agipa Press die deutschen Rechte an der Autobiographie erwarb, ahnte noch keiner, daß dieses Buch einmal die Vorlage zu einem 34 Millionen Dollar schweren Hollywood-Epos abgeben würde. Damals, so Agipa Press-Gründungsvater Jürgen Heiser, "war Malcolm X noch der Underdog, der Militante, der Gewaltapostel", in den kein Geschäftsmann Geld gesteckt hätte.
Agipa Press dagegen hat sich seit 1986 der Verbreitung von "Gegenöffentlichkeit durch Gegeninformation über die Lage unterdrückter Völker" in den USA verschrieben und schon früh eine Veröffentlichung der Malcolm X-Autobiographie geplant. Eine bloße Nacherzählung seiner Lebensgeschichte hätte diesem Anspruch kaum genügt, daher stattete Agipa- Press das Hardcover mit Vor- und Nachworten aus, in denen der Bogen zu Rassismus, Kapitalismus und Weltausbeutungszusammenhängen gespannt, der Malcolm X-Kult hinterfragt und eine Namensliste mit über 80 politischen Gefangenen in den USA abgedruckt ist. Jürgen Heiser: „Es gibt in den USA viele Menschen, die seit 1977 oder länger im Knast schmoren, weil sie ähnlich wie Malcolm gedacht haben."
Mit einem „Buch zum Film" wollten die Verleger bei Agipa ursprünglich nichts zu tun haben. Durch Verträge mit den amerikanischen Lizenzgebern waren sie jedoch zur Vergabe der Taschenbuchrechte gezwungen, also verlegte man sich darauf, wenigstens den Inhalt des Buches zu retten: „Heyne hätte die Liste mit den politischen Gefangenen gerne rausgeschmissen, aber die Verhandlungen wurden für sie zum Zeitproblem." Alle Beiträge wurden unverändert aus der Agipa-Ausgabe übernommen.
So stapeln sich jetzt unter dem Heyne-Siegel Texte aus dem linken 'Underground' in den Buchhandlungen der Republik - eine solche Verbreitung hätte der Bremer Verlag alleine nie erreichen können. Durch einen Trick schaffte Heyne es allerdings doch noch, den kritischen Text kommerztauglich in die Läden zu bringen. Der Taschenbuchmulti brachte einfach zwei im Text identischen Ausgaben auf den Markt: Die eine seriös und bildlos, die andere in reißerisch bunt bebilderter Aufmachung als "Buch zum Film".
Ärgerlicher ist der Klappentext, der nur auf der "Buch-zum- Film"-Ausgabe steht: "Gewalt war für Malcolm X (...) der einzige Weg zur Lösung des Rassenproblems. Während King zur Integration aufrief, predigte Malcolm X Haß und Rache." So kocht man nicht nur alte Fehl- und Vorurteile auf, sondern bestätigt auch die Einschätzung, die Malcolm X selbst im Buches abgibt: Daß, "wenn ich tot bin, (...) der weiße Mann mich in seinen Presseveröffentlichungen weiterhin als Symbol des 'Hasses' darstellen wird." Christian Just
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