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CDU-Klüngel: Neukölln weiter mit Tempo 30

■ Rainer Giesel (CDU), erbittertster Tempo-30-Gegner, will im eigenen Wahlkreis Regelung erhalten/ Verwaltung: „Süß“

Berlin. Pikant: Vor allem Rainer B. Giesel, verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, hat dafür gesorgt, daß in 32 Westberliner Straßen Tempo 30 aufgehoben wird – doch ausgerechnet der Bezirk seines Wahlkreises soll jetzt verschont bleiben. In Neukölln sollten ursprünglich in drei Straßen die Schilder abgeschraubt werden. In zwei Straßen wurde die Order bereits zurückgenommen, doch auch für das verbleibende Weigandufer fordert Giesel eine erneute Überprüfung. Der Polizeipräsident habe bei seiner abgewogenen Entscheidung offenbar einen Fehler gemacht, sagte der verkehrspolitische Sprecher der taz gestern.

Bernd Golm, CDU-Mitglied im Neuköllner Verkehrsausschuß, begründete den Meinungsumschwung bei Giesel und der Bezirksfraktion damit, daß es im Weigandufer „kein Bedürfnis“ gebe, schneller als 30 Sachen zu fahren. Schließlich überquerten auch Kinder die Straße, da sich an einer Seite ein Spielplatz befinde, außerdem sei einmal in der Woche Markttag. An die Begründungen, mit der sich die CDU erfolgreich gegen die einst geplante Aufhebung von Tempo 30 in zwei weiteren Neuköllner Straßen wehrte, konnte sich Golm gestern nicht erinnern. Wie Giesel betonte auch Golm, daß es sich am Weigandufer auf jeden Fall um eine sachbezogene und „keine politische“ Entscheidung handeln würde.

„Das ist ja süß, wie Herr Giesel zum Anhänger von Tempo 30 wird“, kommentierte Tomas Spahn, Pressesprecher der Verkehrsverwaltung, den plötzlichen Meinungswandel. Spahn konnte die Argumente für Tempo 30 nicht nachvollziehen. Vor dem Spielplatz sollte die Regelung sowieso beibehalten werden, an Markttagen sei die Straße für den Autoverkehr ohnehin gesperrt. Ob denn die CDU nun auch die Straße des 17. Juni verkehrsberuhigen wolle, weil dort am Wochenende Antiquitätenhändler ihre Stände aufbauen, fragte der Sprecher von Verkehrssenator Haase ironisch.

Die SPD begrüßte dagegen Giesels „Lernprozeß“. Fraktionssprecher Peter Stadtmüller schlug vor, daß der verkehrspolitische Sprecher der CDU die nächsten Tage auch die restlichen 31 Straßen im Westteil der Stadt in Augenschein nehme, durch die wieder schneller gefahren werden soll. Gegenüber der taz wollte Stadtmüller nicht ausschließen, daß Giesel sich „vor Ort“ weiteren Einsichten im Tempo-Streit nicht verschließen würde. Die SPD werde jedenfalls nicht fordern, daß nun auch in Schöneberg überall Tempo 30 bleibt – in diesem Bezirk hat die verkehrspolitische Sprecherin der SPD, Käthe Zillbach, ihren Wahlkreis. Die Sozialdemokraten betrieben nicht Interessens-, sondern Verkehrspolitik. Dirk Wildt

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