: Weniger Brötchen und Frisuren
■ Das Bruttoinlandsprodukt sank im letzten Quartel 1992 in Westdeutschland um ein Prozent / Talfahrt der Wirtschaft im ganzen letzten Jahr auch statistisch belegt / Privater Verbrauch stieg um 1,8 Prozent
Wiesbaden (taz/dpa) – Nun ist die Rezession in Westdeutschland auch statistisch belegt: zum dritten Mal hintereinander rutschte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwischen Oktober und Dezember unter den Wert des vorhergehenden Quartals.
Gestern veröffentlichte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden die neusten Zahlen. Nachdem die RechenmeisterInnen saisonbedingte Einflüsse wie die alljährlichen Weihnachtsgeschenk-Kauforgien abgezogen hatten, war das BIP um 1,0 Prozent gesunken: 732,5 Milliarden Mark waren in den elf alten Bundesländern in Form von Waschmaschinen und Haarschnitten, Brötchen und Volkshochschulkursen erzeugt worden. „Zwar sind die Annahmen über die Saisonbereinigung immer nur Schätzungen – die Tendenz aber ist klar“, so der Sprecher des Bundesamtes, Wolfgang Strohm. Auch das Bruttosozialprodukt (BSP), das zusätzlich zum BIP die nach Deutschland fließenden Erwerbs- und Vermögenseinkommen einbezieht, sank um einen halben Prozentpunkt.
Zwar schloß das gesamte letzte Jahr immer noch mit einem Wachstum von 1,5 Prozent ab; in Westdeutschland wurden 2.772.000.000.000 Mark an Produkten und Dienstleistungen hergestellt. Das ändert nichts daran, daß die Wirtschaft sich auf einer deutlichen Talfahrt befindet. Noch 1990 hatte das BIP 5,1 Prozent zugelegt, 1991 waren es 3,7 Prozent. Im 1. Vierteljahr 1992 erreichte das BIP 1,5 Prozent — dann ging es nach einem Quartal ohne Wachstum in Richtung Keller: zwischen Juli und September schrumpfte der Konjunkturwert um 0,5 Prozent, der sich nun im Schlußquartal auf 1,0 Prozent beschleunigte.
Die schlappe Konjunktur macht sich auch auf dem westdeutschen Arbeitsmarkt bemerkbar: statistisch hatten im letzten Quartal 1992 0,3 Prozent weniger, das sind 89.000 Menschen, einen Job als in den gleichen Monaten 1991. „Eine Abnahme der Zahl der Erwerbstätigen im Vorjahresvergleich war letztmalig im ersten Vierteljahr 1984 zu verzeichnen gewesen“, schreibt das Bundesamt.
Vor allem das Minus von 4,6 Prozent bei Investitionen für Ausrüstungsgüter und der wachsende Importsog machen die Statistiker für das sinkende BIP verantwortlich. Die Westdeutschen richteten ihre Nachfrage vermehrt auf Waren und Dienstleistungen „aus der übrigen Welt“, so daß die Einfuhr real um 4,7 Prozent zunahm, während sich die Ausfuhr nur um 0,6 Prozent erhöhte.
Aber das alles ist kein Grund, in tiefe Depression zu verfallen. Obwohl alle schreien, daß man ihnen die Wurst vom Brot nimmt, konsumierten die Menschen in Westdeutschland immerhin noch 1,8 Prozent mehr als im Vorjahr. „Möglicherweise“ haben hier sogenannte Vorzieheffekte wegen der Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar 1993 eine Rolle gespielt, meinen die Statistiker. Der Staat stand mit 1,7 Prozent Verbrauch seinen BürgerInnen nicht viel nach.
Die Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit nahmen im Jahresvergleich um 4,8 Prozent zu, die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen erhöhten sich sogar um 7,3 Prozent. Das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte stieg um 4,6 Prozent – das allerdings bei einem Preisanstieg von vier Prozent. aje
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