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„Das nun sind Mafia-Methoden“

■ In Rheinhausen herrscht hilflose Verbitterung nach der Entscheidung zur Schließung des Werks/ Verhaltene Freude dagegen bei Hoesch Dortmund

Rheinhausen (taz/dpa) – Rheinhausen, gestern nachmittag: „Es wurde gelogen und betrogen, daß sich die Balken biegen“, ruft der Betriebsratsvorsitzende Walter Busch den knapp 1.500 Stahlkochern auf der eilig einberufenen Betriebsversammlung in der randvollen Werkskantine zu. Das Versprechen, rechtzeitig informiert und in eine Entscheidung über Schließung oder Fortführung des Werks einbezogen zu werden, sei nicht gehalten worden. Die Krupp- Führung habe Rheinhausen noch im Dezember eine Zukunft vorausgesagt, „das nun sind Mafia- Methoden“.

Mehr als fünf Jahre ist es her, daß die Krupp Stahl AG die komplette Schließung ihres Werks Rheinhausen zum ersten Mal ankündigte. Damals scheiterten diese Pläne: Mit einem für die westdeutsche Industrie beispiellosen Arbeitskampf gelang den Stahlkochern die Erhaltung ihres Werks. Die Arbeiter legten nicht nur ihr Werk, sondern zeitweise das gesamte Ruhrgebiet lahm. Aus Protest gegen die Massenentlassungen blockierten erboste Menschen Autobahnen, Rheinbrücken und Innenstädte. Halb Duisburg und ganz Rheinhausen unterstützte die Protestaktionen. Kaufhäuser machten dicht, die Schulen blieben geschlossen, die Müllwerker legten die Arbeit nieder. Krupp stellte nur bei einem der beiden Hochöfen die Produktion ein.

Heute stöhnt die Branche über Überkapazitäten und Preisverfall. Weil sich die Stahlindustrie von den guten Geschäften der letzten Jahre blenden ließ, wurden notwendige und absehbare Anpassungsmaßnahmen nicht in Angriff genommen. Jetzt hilft nur noch die Brechstange. Und anders als noch in früheren Krisen, als die Belegschaft durch Frühpensionierungen „sozialverträglich“ abgebaut werden konnte, drohen dieses Mal Massenentlassungen auch von jüngeren Leuten. Rheinhausen ist erst der Anfang.

Gestern hieß es in Betriebsratskreisen, bereits Ende August werde das Stahlwerk aufgegeben. „Das ist die größte Sauerei des Jahrhunderts“, schimpfte ein 57jähriger Vorarbeiter. Verhaltene Freude herrschte dagegen am Werkstor der Hoesch-Westfalenhütte in Dortmund. „Wir sind noch einmal davongekommen“, meinte ein erleichterter Stahlkocher. Sein 38jähriger Kollege war da skeptischer: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir an die Reihe kommen.“

Ob die nun angekündigten Proteste die Kraft von 1987/88 haben werden, ist mehr als zweifelhaft. Zwar nahmen Ende Februar rund 30.000 Menschen aus Protest gegen die angekündigte Schließung eines Stahlstandorts im Revier an der „Nacht der 1.000 Feuer“ teil. Doch die rechte Stimmung wollte nicht aufkommen. Wenn die Entscheidung gefallen ist, so ein führendes Hoesch-Betriebsratsmitglied letzte Woche, „wird es nur noch um Sozialpläne gehen, ganz gleich ob es Dortmund oder Rheinhausen trifft“.

Die Verbitterung und Hoffnungslosigkeit der enttäuschten Rheinhausener Stahlkocher bekam gestern schon Betriebsratschef Busch zu spüren. Als er mit dem Hinweis zu beschwichtigen versucht, daß die Entscheidung „noch nicht gefallen“ sei, wird er von wütenden Rufen und Pfiffen unterbrochen. „Du weiß nich mehr, watte sachst“, schreit ihm ein Stahlkocher entgegen. klh

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