: Schon wölbt sich die Decke
■ Mieter Reichenberg contra Spekulant Jörg Nelte: Wer hat den längeren Atem?
Jörg Nelte: Wer hat den längeren Atem?
Die Abbruchfirma hat ganze Arbeit geleistet: Der ehemalige „Garagenhof H. Krafft“ an der Bahrenfelder Straße 34 liegt in Trümmern — nicht ganz, am 40 Quadratmeter großen Büro von Lüder Reichenberg müssen die Steine aufeinander bleiben. Der 28jährige hat einen Mietvertrag bis September 2000.
Schon im Dezember 1991 bekam er eine Kündigung, die unwirksam war. „Ich würde ja ausziehen, wenn man mir hier im Stadtteil Ersatz anbietet“, sagt der Spezialist für Raumakustik. Doch das scheint selbst für die Jörg Nelte GmbH — die Eigentümerin des Grundstücks, die dort 70 Eigentumswohnungen bauen will — unmöglich zu sein. Die Verhandlungen mit Verwalter Peter Beeken scheiterten schon am Tonfall: „Der hat mich gleich angepöbelt.“ Inzwischen wurde Reichenberg eine Abfindung von 60000 Mark angeboten. „Zuwenig, wenn ich in einem neuen Büro das zehnfache an Miete zahlen muß.“ Jörg Nelte hält dagegen: „Der Mann verlangt eine Summe, damit könnte er sich eine Wohnung in der Rothenbaumchaussee leisten.“
Jetzt beträgt die Miete 200 Mark. „Aber ich habe sie um die Hälfte gekürzt.“ Grund: Seit Oktober 1992 ist die Wasserversorgung defekt. Gas gibt es auch nicht mehr — heizen unmöglich. „Einmal ist sogar mein Computer ausgefallen, weil es zu kalt war“, klagt Reichenberg. Mehrere Tage war die Telefonleitung unterbrochen. Der Zugang zum Büro wurde durch abgelagerten Bauschutt erschwert.
An der Flurgarderobe hängt für alle Fälle ein Schutzhelm. Das ist keineswegs übervorsichtig: Am vergangenen Wochenende hat der Abbruch des Nebenhauses begonnen. Dabei fielen schwere Mauerstücke auf das Dach des Büros, das früher
1nur eine normale Zimmerdecke war. Obwohl die Firma es notdürftig mit einem Gerüst gesichert hatte, hielt es dem Aufprall nicht stand. Es wölbt sich nun nach innen. Auch sonst erfüllen die Zimmer kaum noch die Anforderungen an Büroräume. „Im Dach sind Löcher, es kleckert überall durch.“
1Einen Erfolg hat Lüder Reichenberg vor Gericht errungen. Der Wasseranschluß muß wieder hergestellt werden. Wann das geschieht, weiß er nicht. „Es gibt da noch allerlei Tricks und Kniffe, bevor bei mir auch nur ein Tropfen aus dem Hahn kommt.“ Derweil arbeitet er unter erschwerten Bedingungen
1weiter und ist nicht bereit, ohne annehmbaren Ersatz auszuziehen. Sein Anwalt Jens Wassmann hat schon im Dezember gesagt: „Dem Vermieter ist es verboten, störend auf eine Mietsache einzuwirken.“ Nelte trotzt: „Den Mietvertrag halte ich für gefälscht.“ Torsten Schubert
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