: Werthers Echter
■ Horst Kroll verabschiedete sich vom Bremerhavener Theater / Ein Totengräber, ein Sklave, ein Brandstifter
Wer in Bremerhaven in den letzten 30 Jahren mehr als einmal im Theater gewesen ist, kennt ihn. Er ist eine Institution, obwohl er meist die kleinsten Rollen spielen mußte, die Chargen, die komischen oder gräßlichen Typen, den Totengräber im „Hamlet“, den Chorführer in „Antigone“, einen Sklaven in „Die Vögel“, einen Brandstifter bei Max Frisch. Daneben Randfiguren in Operetten und Musicals. Horst Kroll, 64 Jahre alt, war ein Mann für jede Lücke und trotzdem ein Urgestein des Stadttheaters. Er verabschiedet sich am 1. März vom Theater, wie er gekommen ist: Mit kleinen und kleinsten Rollen und mit einer Lesung, bei der er seine größte Kunst zeigte — das Rezitieren seiner Lieblingsdichter Kästner, Morgenstern, Eichendorff, Grasshoff.
Der kleine, feine Mann mit dem silbernen Haarkranz, den ironisch-freundlichen Augen und den Lachfalten um den Mund wurde vom Publikum mit spontanem Applaus empfangen. Kroll liest Kästner ohne eine Spur von Sentimentalität und Alterswehmut mit trockenem, schnoddrigen Berliner Straßenjungen-Ton, der gegen jede falsche Schmeichelei gefeit ist. Es gibt Karrieren / die gehen durch den Hintern. (Kästner). Krolls Karriere gehört nicht dazu.
„Es war ein schrecklicher Tag vor 30 Jahren, als ich in Bremerhaven am Bahnhof austieg: Es nieselte. Je näher ich zur Stadtmitte kam, umso tiefer sank mein Gemüt. Ich dachte, mein Gott, wo bin ich hingeraten.“ Der gebürtige Oberschlesier ist in Gleiwitz aufgewachsen. Er erinnert sich an ein „wunderschönes Land“ mit Wäldern und Schlössern, wo die Berliner Erholung suchten. „Wir wohnten auf Steinkohle, echter Steinkohle.“ Als Schüler wurde Kroll zum „Rezitations-Meister“ ernannt, weil er Eichendorff so schön vortragen konnte. Die Vorliebe für den schlesischen Dichter, „ich glaube, der ist heute hochmodern geworden“ — ist ihm geblieben. Eichendorffs schwere Träume voll Sommernächten und rauschender Wälder klingen auf seiner Zunge ergreifend nüchtern. Als Kroll mit 17 Jahren aus der Gefangenschaft zurückkommt, geht er nach Leipzig „in die Hochburg des Buchhandels“, wo er nach einem Jahr Buchhandelslehre das Schauspielstudium aufnimmt. „Leipzig war quirlig. Man war damals ständig auf Achse.“ Er erhält „eine ganz moderne Allround- Ausbildung“ und steht von Beginn an fast in jedem Stück auf der Bühne des Schauspielhauses. Das Einzige, was auf Befehl der russischen Militäradministration nicht unterrichtet werden durfte war das Fechten. Es galt als militaristisch. „Ich kam nie in die Verlegenheit, auf der Bühne fechten zu müssen.“
Nach einem ersten Engagement im thüringischen Altenburg flieht er 1953 vor der Stasi, „die mich auf dem Kerbholz hatte“, nach Westberlin. Als politischer Flüchtling anerkannt, wird er mit der Air-France nach Frankfurt ausgeflogen. Horst Kroll spielt ab 1954 in Ulm, Reutlingen, Heidelberg und Stuttgart, er tritt in Michael Pfleghars erster Live-Show auf, „bis dann der Ruf nach dem Norden kam.“ Zwischen Goldoni, Sternheim, Moliere, Goethe, Shakespeare, Frisch, zwischen „Weißem Rössl“ und „Cabaret“ jettet er nach Hamburg, um u.a. mit Egon Monk (“Bauern, Bonzen und Bomben“) und Wolfgang Staudte („Die Pawlicks“) fürs Fernsehen zu arbeiten. Jahrelang ist er auf allen Kanälen mit der Werbung für „Werthers Echte“ Sahnebonbons zu sehen.
Als einen seiner lyrischen Lieblingsbonbons rezitiert er den Barden der „Halunkenpostille“ Fritz Graßhoff: Songs und Moritaten über lauter unbürgerliche Existenzen, darunter die Ballade von dem furzenden Ritter, dessen epochemachende Winde die gefährlichsten Feinde besiegten.
Horst Kroll hat niemals viel Wind um sich gemacht. Aber in den Ruhestand will er sich nach dieser letzten Spielzeit nicht begeben. Was mit seinem Abschied von der Bremerhavener Bühne erst beginnen soll, ist der „Unruhe-Stand“. Sein Vorbild ist Münchhausen. „Er hat sich ja mitsamt seinem Pferd am eigenen Zopf aus dem Sumpf gezogen.“ Sarkastisch, trocken, sehr freundlich und mit leiser Ironie fügt er hinzu: „Man sollte das mal versuchen. Sich selber helfen. Das geht.“ Hans Happel
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