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Leda und die Gans

„Lady Macbeth von Mzensk“ unter der Regie von Werner Schroeter in der Frankfurter Oper  ■ Von Eike Wernhard

Stalin liebte Musiktheater, aber bloß, wenn es als repräsentative Staatskunst zur Glorifizierung seiner Herrschaft diente. So fiel Dmitri Schostakowitsch Anfang der dreißiger Jahre durch die grelle, aggressive und parodistische Musik zu „Lady Macbeth von Mzensk“, einer sarkastischen Groteske ohnegleichen, in Ungnade. Eine Oper, deren Protagonistin ihren erotomanischen Schwiegervater mit Rattengift ermordet, ihren ungeliebten Ehemann erdrosselt, seine Leiche im Keller verscharrt und zuletzt auf dem Weg ins Zwangsarbeitslager ihre Nebenbuhlerin und sich selbst ertränkt, war für Stalin ideologisch untragbar.

So durfte das Stück erst in einer domestizierten Überarbeitung wieder gespielt werden, und diese Fassung wurde in der Sowjetunion ein populärer Erfolg, im Westen blieb sie fast unbekannt. Erst in den letzten Jahren wurde diese Oper wiederentdeckt: In dem Bestreben, das Repertoire mit unverbrauchten Stücken aufzufrischen, haben mehrere Theater die Urfassung der Oper gespielt, die jetzt auch in Frankfurt aufgeführt wird.

Ist Lady Macbeth bei Shakespeare die treibende Kraft, die ihren Gatten zum Mord anstiftet, so wird Katerina Ismailowa bei Schostakowitsch zur Rebellin aus Not. Gewalt und Unterdrückung bestimmen das Verhältnis zwischen Mann und Frau: Katerina wird von ihrem Gatten und Schwiegervater erniedrigt und ihre Magd von den geknechteten Arbeitern vergewaltigt. Der Regisseur Werner Schroeter, bekannt vor allem durch seine Kinoarbeiten und berüchtigt für seine Affinität zur italienischen Oper (die er in mystifizierenden Bildern als pathetisches Ritual zelebriert), weicht dem zynischen Realismus des Sujets aus und inszeniert mit einer etwas krampfhaft bemühten Symbolik die Zwänge, die die Protagonistin gefangenhalten. Die bitterböse Komödie wird zu einer merkwürdig indifferenten Allegorie abgemildert, die manchmal in unfreiwillige Komik umschlägt, wenn der Text ignoriert wird.

Das Bühnenbild zeigt ein Arbeitslager: Vier halbnackte Sträflinge, die sich wie Traumgestalten im Zeitlupentempo bewegen, verlegen am linken Rand der Bühne von vorne nach hinten und unabhängig von der Handlung drei Akte hindurch Eisenbahnschienen, die am Schluß der Oper in einen Berg aus Totenschädeln münden. Die häuslichen Szenen werden in nur sparsamen Requisiten im Vordergrund gespielt. Auch die Arbeiter von Katerinas Ehemann, die den Chor bilden, treten aus Erdlöchern auf und sind in Sträflingsuniform gekleidet.

Dieser Chor bleibt beinahe während des ganzen Stückes auf der Bühne. Schroeter scheint damit suggerieren zu wollen, daß die Protagonisten, Katerina und ihr Liebhaber Sergej, Exponenten der Masse sind: So zuckt der ganze Chor bei jedem Schlag zusammen, wenn Sergej von dem Schwiegervater ausgepeitscht wird, als würde er stellvertretend für alle geschlagen.

Christliche Assoziationen drängen sich auf, um so mehr, als auch das Haus durch ein hohes Fensterkreuz angedeutet wird, das, von hinten mit fahlem Licht angeleuchtet, wie ein Kirchenfenster oder wie ein Altaraufsatz wirkt. Bloß steht das Bühnenbild in einem krassen Gegensatz zur höchst unchristlichen Thematik der Oper, ohne daß jedoch dieser optische Kontrapunkt die Handlung psychologisch motiviert. Statt dessen mythologische Accessoires: Eine lebende Gans, überzeugend verkörpert von der Gans Sheila der Filmtierschule Zimek, wackelt ständig über die Bühne, und wenn Katerina sie auf den Schoß nimmt, entsteht das Bild von Leda mit dem Schwan – ein bei aller Tierliebe doch recht aufgesetzt wirkendes Gleichnis, das wohl als Vorspiel des weiteren Geschehens gedacht ist. Wie im Lohengrin folgt die Schlafzimmerszene der Liebenden, hier Katerina und Sergej.

Es gibt in der Opernliteratur wohl kaum einen zweiten Sexualakt, der derart drastisch auskomponiert wurde: Blechgepanzerte Aggressivität mündet in abschlaffende Posaunenglissandi, Signal nachlassender Libido. Das Publikum quittiert die eindeutige Klangmalerei mit verstehendem Gekicher.

So weit, so farbig, so bedeutungsschwanger, so unverbindlich. Gesungen immerhin wurde in der Premiere am letzten Sonntag ganz hervorragend: Kristine Cienimski gestaltete die anspruchsvolle Titelpartie mit einer Sopranstimme, die sich sowohl im Piano als tragfähig erweist, als auch zum dramatischen Ausbruch fähig ist, und wurde zu Recht gefeiert. Auch Sergej Larin begeisterte durch seinen kraftvollen, jugendlichen Tenor als ungestümer Liebhaber Sergej. Eberhard Kloke, Chef der Bochumer Symphoniker und designierter Generalmusikdirektor in Nürnberg, dirigierte als Gast und motivierte vor allem in den sarkastisch-parodistischen Passagen mit virtuosen Holzbläser- und Schlagzeugpartien das Frankfurter Museumsorchester zu brillantem Spiel. Lediglich in den bewegten Chorszenen hatte er Mühe, Orchestergraben und Bühne zu koordinieren. Das Premierenpublikum reagierte mit herzlichem Applaus und bedachte nur den Regisseur mit den üblichen Buhrufen – nachvollziehbarerweise.

Nächste Aufführungen: 11./13. März, 2./4./9./11. April

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