Hinterbänkler mobilisieren für Bonn

■ Im Bundestag kursieren zwei Anträge, den Umzug nach Berlin zu verschieben/ Schäuble will neue Abstimmung verhindern/ Debatte aber kaum noch zu verhindern

Bonn (taz) – Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble droht neuer Ärger aus den eigenen Reihen. Nur wenige Tage nach den Querelen um die Vignette machen die Hinterbänkler in der CDU/CSU- Fraktion erneut mobil.

Ihr Ziel: Der Umzug von Bundesregierung und Bundestag nach Berlin soll verschoben werden. Ein Antrag, zunächst für fünf Jahre alle Investitionen in Berlin zu stoppen, fand nach Angaben der Initiatoren bereits die Unterschriften von über 60 Abgeordneten. Schäuble, der erst vor wenigen Tagen für einen raschen Umzug plädiert hatte, nahm die Sache so ernst, daß er die Abgeordneten gestern nachmittag zu einem Gespräch empfing. Die Fraktionsführung will unbedingt verhindern, daß die Abgeordneten ihren Antrag offiziell in den Bundestag einbringen. „Wenn man das formell einbringt“, sagt CSU-Sprecher Manfred Schubert, „haben sie sofort wieder die ganze Debatte wie vor eineinhalb Jahren.“

Doch selbst wenn Schäuble sich bei den eigenen Parteifreunden durchsetzt, kann er eine neue offizielle Debatte im Bundestag kaum noch verhindern. Parallel zu den Unionisten sammeln auch einige Nachwuchsabgeordnete von SPD, FDP, Union und Bündnis 90 Unterschriften für einen Antrag, den Umzug gleich auf das Jahr 2010 zu verschieben. Sie wollen ihren Antrag auf alle Fälle zur Abstimmung stellen. Seit Dienstag abend hat Initiator Hans Martin Bury von der SPD mehr als 34 Unterschriften für seinen Antrag beisammen und damit genug, um ihn in den Bundestag einbringen zu können.

Der SPD-Abgeordnete profitiert von einem Stimmungswechsel. Im letzten Jahr hatten er und seine Mitstreiter ihren Antrag schon einmal vorgelegt, waren jedoch nie über die Zahl von 20 Unterschriften hinausgekommen. „Druck“ der Fraktionsführungen, so Bury, habe viele Parlamentarier davon abgehalten, zu unterschreiben. Dieser Druck verliert jetzt allmählich seine Wirkung. Angesichts leerer Kassen und aufgeschreckt von Umfragen, wonach 80 Prozent der Westdeutschen den Umzug stoppen wollen, fürchten viele Abgeordnete ihre Wähler zu Hause noch mehr als ihre Fraktionschefs in Bonn.

Würde der Antrag auf Verschiebung offiziell gestellt, könnte es „möglicherweise sogar eine Mehrheit geben“, glaubt man in der CSU. Da die Entscheidung für Berlin seinerzeit mit nur 18 Stimmen Mehrheit gefallen war, müßten nur zehn ehemalige Berlin- Freunde die Fronten wechseln, um einem Antrag auf Verschiebung zur Mehrheit zu verhelfen.

Auch ehemalige Berlin-Befürworter wie der CSU-Landesgruppenchef Michael Glos plädieren inzwischen für einen langsameren Umzug, scheuen aber die offene Auseinandersetzung, die mit einer neuen Abstimmung verbunden wäre.

In der Berliner Landesvertretung in Bonn verbreitet man dennoch unverdrossen Optimismus. „Wir können noch ruhig schlafen“, versichert ein Mitarbeiter. Die Berliner vertrauen auf die Unterstützung der Bonner Parteispitzen. Selbst Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU), die seinerzeit für Bonn votiert hatte, will einstweilen nicht an der Entscheidung vom 20.Juni 1991 rütteln: „Es bleibt bei der Beschlußlage“, erklärte sie am Dienstag. Hans-Martin Tillack