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„Kippt den Scheiß doch einfach weg“

Die Wut der Rheinhausener Stahlkocher über den Stillegungsbeschluß sitzt tief. Was aber fehlt, ist die Zuversicht, das Blatt, wie '88, wenden zu können.

„Leute, wir können unseren Betrieb auch selber stillegen, aber das wollen wir doch alle nicht. Wir sind sehr kopflos aus dem Betrieb gelaufen. Aber wir müssen jetzt dafür sorgen, daß die Anlagen ordnungsgemäß zurückgefahren werden.“ Der Hilferuf des stellvertretenden Chefs des Rheinhausener Stahlwerks, Helmut Laackman, wird letztlich erhört. Die Hochofenleute und Stranggießer kommen der Aufforderung nach und ziehen ab, um etwa die drei mit flüssigem Roheisen gefüllten Stahlpfannen doch noch zu entsorgen. Nach Bekanntwerden des Stillegungsbeschlusses hatten sie am Dienstag nachmittag alles stehen und liegen lassen und waren zur Belegschaftsversammlung geeilt. Jetzt, es ist inzwischen 20 Uhr, gehen sie zurück, auch wenn einige in der überfüllten Krupp-Kantine rufen: „Kippt den Scheiß doch einfach weg, die machen uns doch so oder so kaputt.“

Die Erregung ist zwar groß, aber Hand anlegen gegen das eigene Werk, nein, das ist die Sache der „Kruppianer“ nicht. Die Resignation steht zwar vielen ins Gesicht geschrieben, aber ganz aufgegeben haben sie sich noch nicht. Als Gerd Pfisterer, Betriebsrat und politisch bei der Marxistisch- Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) organisiert, eine Resolution an alle Betriebe des Reviers verliest, in der davon die Rede ist, daß „wir diese Entscheidung nicht akzeptieren“, da braust zum ersten Mal tosender Beifall auf. Erich Speh, der während des Arbeitskampfes 1987/88 seine Stahlarbeiterkluft mit der Kameraausrüstung ausgetauscht hatte und den Widerstand gegen die damals beabsichtigte Schließung über den Offenen Kanal täglich in Tausende von Rheinhausener Haushalten transportierte, spricht sogar davon, daß wir „diesmal noch mehr machen“.

Überzeugend klingen solche Ankündigungen indes nicht. Selbst der Betriebsratsvorsitzende Walter Busch hatte in der vergangenen Woche eingeräumt, daß die Rahmenbedingungen für die Stahlkocher im Vergleich zum letzten Arbeitskampf „sehr viel schwieriger“ geworden seien. Die Eier, die den Vorstandsvorsitzenden Jürgen Harnisch am Nachmittag bei der Verkündung des Stillegungsbeschlusses trafen, zeugen zwar von Wut – was aber fehlt, ist die Zuversicht, das Blatt noch mal wenden zu können.

Der Frust trifft an diesem Abend auch den Sozialdemokraten Manfred Bruckschen. Der einstige Betriebsratsvorsitzende, der seit seinem Einzug in den Düsseldorfer Landtag nur noch als stellvertretender Betriebsratschef agiert, muß sich sogar Pfiffe, Buhrufe und die Bezeichnung „Arbeiterverräter“ gefallenlassen.

Skeptisch über den Erfolg eines neuerlichen Arbeitskampfes

Ihm werfen einige mangelndes Engagement für den Standort Rheinhausen vor. „Ich kann eure kalte Wut verstehen“, sagt Bruckschen, immer wieder von Pfiffen unterbrochen. Bruckschen spricht davon, daß der oberste Konzernherr Gerhard Cromme, der „uns dreimal belogen, betrogen und beschissen hat“, jetzt die Ruhrkohle „erpreßt“ habe, um für den Dortmunder Standort „Sonderkonditionen“ beim Kokspreis zu erhalten. Von Ministerpräsident Johannes Rau verlangt der hektisch formulierende Bruckschen, seinen Einfluß geltend zu machen, um gleiche Bedingungen für alle herzustellen. Krupp-Stahl-Chef Harnisch hatte während seiner Pressekonferenz mitgeteilt, daß die noch nicht abgeschlossenen Gespräche mit der Ruhrkohle AG zu einer „Anpassung ihres Kokspreises“ an das Niveau der Krupp-Kokerei in Rheinhausen führen würden. Die stellt den Hüttenkoks um 27 DM je Tonne billiger her als die hochmoderne RAG-Kokerei „Kaiserstuhl“ auf dem Werksgelände von Hoesch in Dortmund.

Über den Kokspoker und das Verhalten der Ruhrkohle AG hatte sich am Dienstag abend auch der Duisburger Oberbürgermeister „sehr verbittert“ gezeigt. Josef Krings, der sich des Zuspruchs der Stahlarbeiter bisher immer sicher sein konnte, mußte gestern erstmals selbst einige Pfiffe einstecken. Im Gespräch mit Journalisten zeigte sich der OB „skeptisch“ über die Erfolgsaussichten des neuerlichen Arbeitskampfes. Er „glaube nicht, daß die noch mal zurückgehen“, sagte Krings mit Blick auf die Vorstandsetage. Krings fordert die Einberufung einer „Duisburg-Konferenz“ durch die Landesregierung. Die soll, darauf haben sich die Beteiligten gestern bei einem Gespräch mit Johannes Rau im Düsseldorfer Landtag geeinigt, am 21. April stattfinden.

Ob damit Vertrauen in Rheinhausen zurückgewonnen werden kann, ist eher unwahrscheinlich. Manfred Scholz, der am Dienstag dem Krupp-Stahl-Chef einen Trauerkranz überreichte, als Symbol dafür, daß „ich den Glauben an den Vorstand beerdigt habe“, steht am Mittwoch morgen kurz nach 6 Uhr vor Tor 1 wieder Mahnwache. Nein, sagt Scholz, „das gilt nicht nur für den Vorstand, sondern ich habe auch jeglichen Glauben an die Politik verloren, die uns schmählich im Stich gelassen hat.“

Noch in der Nacht hatte sich der Betriebsrat entschlossen, am Mittwoch zum Düsseldorfer Landtag zu fahren. Rau müsse, so sagt Betriebsratschef Walter Busch um 6 Uhr während der Belegschaftsversammlung, „uns hier in Rheinhausen Perspektiven aufzeigen. Dazu ist die Landesregierung verpflichtet.“ Mehr als 600 Stahlkocher waren es wohl nicht, die diesem Demonstrationsaufruf folgten und sich am Landtag versammelten. Nach einem längeren Gespräch mit einer Delegation von Betriebsräten sprach Rau, der von vereinzelten „Judas“-Rufen empfangen wurde, zu den Demonstranten. Dabei versicherte er, daß die von ihm initiierte Vereinbarung mit dem Krupp-Chef Gerhard Cromme, die 1988 zur Beendigung des Arbeitskampfes geführt hatte, bei einer Schließung von Rheinhausen Bestand haben müsse. Die Verpflichtung zur Schaffung von 1.500 Ersatzarbeitsplätzen gelte. Wie man die praktisch einfordern und umsetzen kann, verriet der Regierungschef indes nicht. Gleichzeitig schloß sich Rau der Forderung der Betriebsräte nach einer Bewertung der Vorstandszahlen durch unabhängige Gutachter an.

Eine Gleichbehandlung für alle Standorte müsse es auch in bezug auf die Kokslieferungen durch die Ruhrkohle geben. Er könne die „Wut und den Zorn gut verstehen“, aber ob Rheinhausen dichtgemacht werde, entscheide nicht die Landesregierung, sondern Vorstand und Aufsichtsräte. Walter Jakobs

Rheinhausen/Düsseldorf

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