: Sexuelle Gewalt – kein Fremdwort an der Uni
Jede zweite Frau an der Universität wird sexuell belästigt, ergab eine FU-Studie/ Sexuelle Gewalt bleibt sich gleich – an der Uni sind höchstens die Sprüche etwas intellektueller ■ Von Julia Gerlach
Berlin. „Na, worüber willst du denn deine Hausarbeit schreiben, meine Süße?“ Der Professor legt einen Arm um die Studentin und schenkt ihr einen langen Blick. Dies ist nicht der Anfang eines schnulzigen Liebesromans, sondern Alltag für viele Studentinnen an der Freien Universität. Jede zweite Frau, egal ob Angestellte oder Studentin, wurde schon ein oder mehrmals an der Uni sexuell belästigt.
Das hat eine Studie ergeben, die im Auftrag der Frauenbeauftragten Christine Färber erstellt und veröffentlicht wurde. Erstmalig wurde in Deutschland die besondere Situation von Studierenden untersucht. „Wir haben rund 300 Frauen aus verschiedenen Fachbereichen befragt“, erklärte Marita Ripke, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, die diese Studie auswertete. „Sexuelle Belästigung läßt sich nicht generell definieren“, sagte sie. Manche Frau empfindet einen Blick schon als sexuelle Anmache, andere fühlen sich auch durch Hinterherpfeifen nicht belästigt. „Bei diesem Thema findet viel Verdrängung von seiten der Frauen statt. Sie erinnern sich nicht gerne an solche Situationen.“
Die Studie hat ergeben, daß vorallem jüngere Frauen zwischen 19 und 35 Jahren belästigt werden. Aber auch Ältere werden diskriminiert. Am stärksten sind Studentinnen oder wissenschaftliche Angestellte, die keine festen, gesicherten Verträge haben, betroffen. Angemacht werden sie in erster Linie von Vorgesetzten und Lehrenden. Erst an zweiter Stelle kommen bei den Angestellten die Kollegen auf der gleichen Stufe der Uni-Hierachie und bei den Studentinnen die Kommilitoninnen. „Sexuelle Belästigung hat immer auch was mit Macht zu tun“, sagte Marita Ripke.
Oft gehe es den Tätern weniger um die Tat selber. Sexuelle Diskriminierung sei ein beliebtes Mittel, um „die Frau auf ihren angestammten Platz zurückzuweisen“, erklärte sie. Gerade starke Frauen, die also aus der traditionellen Rolle ausbrechen, wären Belästigungen von seiten ihrer männlichen Konkurrenten ausgesetzt. Die sexuelle Gewalt an der Uni unterscheide sich deshalb nicht von dem, was Frauen in anderen Lebensbereichen erleben. Die Mechanismen seien die gleichen. „Vielleicht sind die Sprüche ein bißchen intellektueller.“
Die Diskriminierungen haben Folgen: ein Großteil der Befragten gab an, daß sie im Lernen und Arbeiten behindert würden. „Häufig meiden Frauen daraufhin Seminare von bestimmten Professoren und Dozenten, manche brechen auch ihr Studium ab“, weiß Marita Ripke.
Allein die Tatsache, daß sie wissen, daß es so was gibt, reiche schon aus, um Frauen zu verschüchtern, und schränke sie in ihrem Aktionsradius ein. „Da braucht es ihnen nicht einmal selber passiert zu sein“, ergänzte sie.
Was empfinden die Betroffenen? Die meisten machen die Sprüche und Blicke wütend. Sie empfänden so was als eine Unverschämtheit. Nicht wenige jedoch fühlten sich auch gedemütigt und würden eher passiv reagieren.
Die Mitarbeiterin der Frauenbeauftragten bedauert, daß nicht mehr belästigte Frauen mit ihren Problemen zu ihr kämen. Die Mehrzahl der Frauen, das ergab die Untersuchung, schlucke ihre Wut herunter oder bespreche sich mit einer Freundin.
„Dann können wir aber auch nichts unternehmen“, bedauert Marita Ripke. Die Frauenbeauftragte hat zwar nicht viel Einfluß, aber sie kann ein Disziplinarverfahren gegen den Anmacher einleiten. Sofern dieser Angestellter der Uni ist. „Wir setzen uns dafür ein, daß sexuelle Belästigung zumindest in die Akte des Täters eingetragen wird oder er sogar entlassen wird“, so erklärt sie ihre Kompetenzen.
Leider sieht die Realität anders aus. Es habe mal einen besonders krassen Fall gegeben. „Der Professor mußte dann 2.000 Mark ans Müttergenesungswerk bezahlen, und unterrichtete weiter, als sei nichts gewesen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen