Lokalkolorit mit Bohemetouch

Wie damals bei Jean Gabin: „Il Gran Teatro Amaro“ auf Deutschlandtournee  ■ Von Thomas Bohnet

„Die Songs sind alle Teil einer Geschichte, einer wirklich einfachen Geschichte“, schreibt François-Régis Cambuzat im Booklet zur ersten CD seines Gran Teatro Amaro. Es ist die Geschichte von Blaise, „der zuerst seine Freunde in die Hölle schickt, dann seine Freundin und später sich selbst umbringt.“

Wahrhaft eine düstere, blutrünstige Story, die dieses Ensemble mit dem theatralischen Namen erzählt. Der „Post-Punk Jacques Brel“, wie ihn einmal ein italienischer Kritiker treffend genannt hat, singt die Songs in seiner französischen Muttersprache; oder aber er wählt Italienisch, die Sprache seiner Partnerin Roberta Possamai, die im „Großen bitteren Theater“ Akkordeon sowie Piano spielt und mit ihrer vollen Stimme den Gegenpart gibt. Der Holländer Robert von der Tol an der Gitarre und der Deutsche Stefan Lienenkämper (Kontrabaß und Minimalschlagzeug) ergänzen ein gesamteuropäisches Quartett, das seit zwei Jahren durch Europa tourt und allerorten mit furiosen Liveauftritten glänzt.

Europäisch (mit Abstechern in andere Weltregionen) ist auch die Musik, ein Gemisch der Stile und Folkloren des Kontinents, getränkt vom Geist des Rock'n'Roll, gespielt mit Seele, Herz und Hirn. Französisches Chanson und Straßenlied (Musette) gehen eine Liaison mit italienischen Canzones ein, Walzertakte treffen auf flirrende, in Spanien aufgeschnappte Gitarrenklänge, im Tangorhythmus geht's durchs „Chanson sur le toit“, während beim melancholischen „Por debajo de la luna“ die Violine traurig wimmert. Ein anderer Song scheint das Teatro Amaro als entfernte Verwandte der französischen Negresses Vertes auszuweisen, wird aber im nächsten Moment von einem schwerblütigen Pianoinstrumental abgelöst oder nimmt den Stimmungstaumel eines Begräbnissongs Tom Waitsschen Ausmaßes an. Die Themen dazu: Liebe und Anarchie, Euphorie und Einsamkeit, Mord und Selbstmord – und alles leidenschaftlich! „Das müssen unsere Songs sein“, sagt François-Régis, „doch immer auch amaro, also bitter. Wie das Leben eben.“ Während ihre erste CD „Port Famine“ am Stück gehört nicht unbedingt jedermanns Sache ist („Mach die Trauermusik weg“, sagt meine Freundin immer), kann man sich den vieren live kaum entziehen. Im heimelig-skurrilen Bühnenbild zwischen Plüschsofa und Wohnzimmerlampe, einer Lichterkette (!) und einem abgenagtem Kuhschädel, werden die (am liebsten unverstärkt gebrachten) Balladen und Songs greif- und erlebbar, inszeniert das Quartett seine Songs mit Sinn fürs Theatralische, liegt insgesamt eine Lebendigkeit in der Luft wie bei nur wenigen Bands der sowieso viel zu großen Schublade „Folk“.

Dreh- und Angelpunkt der Show ist Sänger Cambuzat, der, kaum auf der Bühne, mit seinen Protagonisten eins wird. Mit großer Geste mimt er die Verzweiflung des russischen Poeten, der sich in seinem Pariser Hotelzimmer umbringt (und dabei mit letzter Kaft noch ein Poem an die Wand pinselt), kämpferisch den Herrschenden die Anarchie ins Gesicht brüllt oder, den Weinkelch in der Hand, vom Freund Alkohol singt – Genreszenen, die mit viel Sinn für, aber ohne abschließenden Ernst ausgekostet werden. Wenn Cambuzat das leere Glas vor die Füße des Publikums schleudert und, derart in Stimmung gebracht, auch schon mal leere Stuhlreihen durch die Gegend wirbelt, sieht er in seinem gestreiften Pulli und mit der Schiebermütze aus wie einer von Jean Gabins betrunkenen Kumpeln.

„Eigentlich fing die Band mit einem Konzert in Berlin an“, erzählt François-Régis. „Wir sollten im Ecstasy als Vorband von Silvia Juncosa spielen. Doch vor der Tour wurde unser Drummer plötzlich krank.“ So fuhren sie zu dritt – mit Roberta und Robert – von Rom nach Berlin und übten auf der zwanzigstündigen Autofahrt das veränderte Programm ein. „Während einer fuhr, probten die beiden anderen, zwischendurch wurde immer mal wieder gewechselt. In Berlin angekommen, überraschten sie die wartenden Hardcore-Fans mit einem akustischen Set. Il Gran Teatro waren geboren.

Trotz guter Plattenkritiken – Journalisten lieben so was nun mal – und guten Livekonzerten verkauft sich die Platte eher mäßig. Was vielleicht mit am wenig animierenden Plattencover liegt. In Schwarz-Rot gehalten, wirkt die Grafik einer Gestalt mit Dolch nicht nur kommerziell düster, ein wenig wie Theatermusik. Inzwischen hat RecRec Zürich, das rührige kleine Label, der Gruppe ein neues anfertigen lassen: ein freundliches Bandfoto vor der Kulisse einer Amsterdamer Gracht – Lokalkolorit mit Bohemetouch. Das gefalle ihm zwar auch, meint François-Régis, so ganz glücklich scheint er aber damit nicht zu sein: „Ich vermisse halt schon unsere andere Seite, für die das alte Cover eher stand: die Texte, die vom Druck der Gesellschaft auf den einzelnen handeln, die Gewalt, die Anarchie.“

Tourdaten:

12.-14.3. Hamburg, 16.3. Bonn, 17.-19.3. Köln, 20.3. Wuppertal, 21.3. Bremen, 25.3. Frankfurt, 26.3. Marburg, 27.3. Nürnberg, 28.3. Freising, 29.3. München, 30.3 Halle, 31.3. Erfurt, 1.4. Weimar, 2.-4.4. Berlin, 6.4. Leipzig, 8.4. Regensburg, 9.4. Freiburg, 3.4. Heidelberg