Village Voice
: Bewußtseinsband als Industrieprodukt

■ Computerviren eingefangen: Plan B mit „Cyber Chords and Sushi Stories“

Ungefähr mit Ende zwanzig bricht das Altern herein in den sorgenlosen Alltag, bei dem fast fließend Abi, Uni, Nacht- und Berufsleben ineinander übergegangen waren. Dann fallen plötzlich all die Dinge des Lebens, zwischen denen man sich bislang sicher fühlte, auseinander. Es ist die Zeit der Konversionen und Brüche; der Geburten und anderer Zipperlein; und des fragenden Blicks in den Spiegel: Werde ich heute noch so jung sein können wie früher? Und schon ist man alt. Das ist bei Musikern nicht anders als bei Versicherungsvertretern.

Plan B haben sich entschieden, den so gearteten Lauf der Dinge noch ein wenig aufzuschieben. Ariola wird da wohl auch ein Wörtchen mitzureden gehabt haben. Die neue Strategie der Endzwanziger und Frühdreißiger im neunten Jahr ihres Bandbestehens kreist um Simulation, Scheinwelt und Datenschmus. Warum sich allerdings die vier erwachsenen Menschen damit zwanghaft in die Welt des heranreifenden Jugendlichen zu drängen versuchen, ist schleierhaft. Der Plattentitel – „Cyber Chords & Sushi Stories“ – plus Akira-Comic-Cover und die fesche NYHC-Rebellenkleidung der Gruppe sind ein arger Tritt ans Schienbein der Gameboy-Generation. Man will der Jugend eben nicht ihren Lauf lassen, im Kapitalismus.

Während das zuletzt gepflegte Rockertum des Vorgänger-Albums „Intensified“ also der Vergangenheit angehört, gilt es jetzt, sich innerhalb der nachwachsenden Jugendkultur zu bewähren: Also Homeboy-Trachten, Strickmützen und was sonst noch an Verbindlichkeiten im Zuge der allgemeinen Street-Culture-Akklimatisierung zwischen New York und Kreuzberg randgebietsbewußtseinsmäßige Zeichen setzt.

Doch die gut durchorganisierte Authentizität des „HiTech at Streetlevel“ hat am Ende nur einen Bruchteil mit dem rauhen Leben der Straße gemein. Eher mit Mainstream-Polit-Rock von Mellencamp und Co. Bei „Telecom communication Cripples“ werden zwar die bösen Mächte im Cyper Space beschworen, aber zum Beweis der allgegenwärtigen Informationskontrolle dreht man eher unmotiviert am Weltempfänger herum; dann folgt mittelschwerer Punk- und Partyrock, mit quietschenden Keyboardsprengseln verfeinert, die mehr an Gary Numan denn an die Tanzschaffe des antifaschistischen Groove Thang erinnern. Die ganze Credibility beruht auf einem einzigen Sample: „Bring the Beat back“. Aber wozu? Und vor allem – welchen Beat, bitte? Über ähnliche Essentials haben sich schon vor mehr als fünf Jahren die Geister von The Clash geschieden.

Der Beat, das stellt sich dann im nächsten Stück heraus, ist der Rave, den man in den Hitlisten auf MTV alle zwei Wochen ausgewechselt bekommt. Für die Charts haben Plan B ihr „Life's a Beat“ als Hymne mit Gospelchor herausgeputzt. Da liegt das Problem einer heutigen Bewußtseinsband als Industrieprodukt offen: In der Mischung von heroischer Antihaltung und händeringendem Dabeiseinwollen/-müssen geht dem gutgemeinten Lied schon im ersten Refrain die dicke Luft aus und kippt in kokett-spirituellen Frohsinn um – als wäre die Hautfarbe in der Tat nur ein Benetton-Motiv, während im Backing-Chor einsam und alleine die farbige Sängerin Jocelyn B. Smith gospelt. Und der amerikanische Maler Robert Longo wird das Sozialdesign im anstehenden Videoclip schon richten, schließlich hat er seine Erfahrungen im Zeichenreich gesammelt.

So ganz spurlos sind die Theoriemodelle der achtziger Jahre auch nicht am Rock'n'Roll-Geschäft vorbeigegangen. Da nützt das aufrichtige „Don't fight the Groove“ nur wenig. Das gleiche Schicksal der unauflöslichen Haßliebe des Rebellen zur Industrie ereilt auch den locker gereimten Rocker „Cops pin Rap on Batman“, der auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten, Compact-Discs und Coca-Cola schimpft, während auf dem beiliegenden Infoblatt zur Platte recht blauäugig eine Adresse mitgereicht wird, bei der man digitalisierte Logos der Band bestellen und seine Probleme per Mailbox faxen kann. Die Schwierigkeiten mit dem zeitgenössischen Patchwork aus Parallelwelten lassen sich zwar medientheoretisch entschuldigen, aber sie tragen gleichsam dazu bei, daß die politischen Slogans im Kern der Stücke ebenso schnell verpuffen, wie sie ausgegeben werden.

Der Kommentar zum Rechtsruck in Deutschland, den Sänger Johnny Häusler mit „Little Hitlers“ abgibt, gerät ebenfalls ins Fahrwasser des Beliebigen. Darin werden recht kryptisch böse Meldungen aus der Tagespolitik mit düsteren Assoziationen verbunden, denen der letzte Schliff einer kritischen Reflexion fehlt. Allein das bekannte Lob der bayerischen Polizei durch Max Streibl zitiert die Stimmung der Volksoberen. Doch damit rennt der rebellierende Rockhaufen allerhöchstens die weit geöffneten Türen der Bürgermoral ein.

Am besten funktioniert die Platte, wenn sie alle Bedeutsamkeiten über Bord wirft und abrockt. „If i was a girl“ ist ein richtig guter, jungsmäßiger Singalong-Song, der mit hübschen Chören als Wegbegleiter lange Kneipennächte hindurch im Kopf hängenbleiben könnte. Mit kitzeliger Stimme und großem Glamgitarrensound spielt man hier verschmitzt-charmante „Gender“- Fantasien aus. Doch mittendrin befällt Johnny schon wieder der Computervirus, und er macht aus dem kratzigen Schelmenstreich ein seifenblasenwerfendes Blade- Runner-Spektakel um eine „Cyberspace Barbarella“, mit der er im Grunde nur gerne seinen Joystick teilen würde. Harald Fricke

Plan B: „Cyber Chords and Sushi Stories“ (BMG Ariola)