Zu langsam wird der Westen wach

■ Die jetzt diskutierten Hilfsmaßnahmen für Rußland könnten als Hilfe für Boris Jelzin, den die westlichen Regierungen als Stabilitätsfaktor sehen, zu spät kommen

Rußland muß auf dem Weg in die Marktwirtschaft geholfen werden. Diese fast schon vergessene Grundposition der westlichen Regierungen versucht seit Beginn der Sitzung des Volksdeputiertenkongresses der neue US-Präsident Bill Clinton seinen G-7-Kollegen ins Gedächtnis zurückzurufen. Aufgeschreckt durch die Angriffe der Deputierten auf Jelzin habe Clinton die Regierungen von Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada gebeten, ein Notprogramm zur Unterstützung der Reformen zu mobilisieren, hieß es am Donnerstag in Washington. Das Thema Rußlandhilfe soll nach Clintons Wunsch außerdem einmal mehr das beherrschende Thema des Wirtschaftsgipfels in diesem Jahr in Tokio werden.

Den Gipfel, der regulär Anfang Juli stattfinden soll, wegen der russischen Staatskrise vorziehen wollen die G-7-Staatschefs offenbar nicht. Die japanische Regierung schlug gestern vor, daß sich die Außen- und Finanzminister der sieben reichsten Industrienationen Ende April treffen sollen, um neue Wirtschaftshilfen für Rußland zu beschließen. Wie die japanische Nachrichtenagentur Kyodo berichtete, will die Regierung den Vorschlag an diesem Wochenende in Hongkong den anderen Staaten erläutern. Dort wollen die stellvertretenden Finanzminister der G-7 den Wirtschaftsgipfel vorbereiten und sich von dem stellvertretenden russischen Ministerpräsidenten Boris Fjodorow über die wirtschaftliche Krise in seinem Lande informieren lassen und, wenn es nach Clinton geht, über ein neues Hilfsprogramm beraten.

Von seiten Japans ist der Vorschlag des Ministertreffens bereits ein deutliches Entgegenkommen gegenüber Rußland. Denn nach der bisherigen Politik will Japans Regierung erst dann über Geld für Rußland reden, wenn Rußland die nach dem Zweiten Weltkrieg besetzten Südkurilen-Inseln an Japan zurückgegeben hat.

Nach vorliegenden Berichten dringen die USA und die europäischen Regierungen dennoch auf einen früheren Termin für das Ministertreffen. So verlangt die US- Regierung, daß die Konferenz wegen der bedrängten politischen Lage von Präsident Boris Jelzin schon für Ende März einberufen wird und damit vor dem Treffen von Jelzin und Clinton am 3. und 4. April stattfindet. Clinton forderte, daß der Westen schon vorher mit einem neuen Hilfsprogramm ein deutliches Signal zur Unterstützung der russischen Reformpolitik gibt.

Wieviel Geld allerdings zur Unterstützung Jelzins gezahlt werden soll, darüber schweigen sich die G-7 bislang aus. Angesichts der Rezession und leerer Haushaltskassen ist die Bereitschaft des Westens, Milliardenprogramme aufzulegen, auf Null gesunken. Auch der Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF), Michel Camdessus, nannte keine Summen, sondern sprach am Donnerstag in Washington lediglich von „kräftigen Finanzhilfen“ für Rußland. Dafür, so sein Vorschlag, soll der IWF sozusagen selbst zusätzlich sein Kunstgeld namens „Sonderziehungsrechte“ (SZR) vermehren, das dann von Rußland gegen Hartwährungen eingetauscht werden könnte. Der Vorteil dabei wäre, daß alle 24 Industriestaaten gemeinsam die zu bestimmende Summe aufbringen müßten und nicht nur die G-7 alleine. Allerdings steht dem die Tatsache entgegen, daß schon die letzte reguläre Kassenauffüllung beim IWF seit längerem vom US-Kongreß blockiert wird. Der Fonds ist also deshalb und wegen der Vielzahl neuer Programme für Osteuropa de facto ohnehin erschöpft.

Für eine wirkungsvolle Unterstützung Rußlands hat der Westen im Übrigen erst kürzlich eine Chance verpaßt. Im Pariser Club, wo die Gläubigerstaaten regelmäßig über ihre Schuldner verhandeln, konnten sich die reichen Länder nicht darauf verständigen, Rußland als Erste Hilfe die Altschulden der Sojwetunion zu stunden oder zu erlassen. Donata Riedel