Mehr Wachstum in China als geplant

■ Unzufriedenheit über Einkommensunterschiede

Peking (taz) – Bei der Eröffnung der Parlamentsperiode in China wird heute vermutlich die angestrebte Wachstumsrate im Fünfjahresplan weiter erhöht werden. Bei der Sitzung des Zentralkomitees, bei der diese Entscheidung getroffen wurde, hütete man sich jedoch vor genaueren Angaben. Es hieß lediglich, daß „das gute Tempo der ökonomischen Entwicklung beibehalten und eine schnellere Entwicklung erreicht werden“ solle.

Wirtschaftswissenschaftler sagen seit langem, daß die im Fünfjahresplan bis 1995 vorgesehene sechsprozentige Wachstumsrate unrealistisch niedrig sei. Chinas Wirtschaft ist seit Beginn des Reformprogramms 1980 im Durchschnitt um 9,5 Prozent jährlich gewachsen. Während der Rest der Welt sich überwiegend in einer Rezession befand, wuchs Chinas Wirtschaft im vergangenen Jahr um 12,8 Prozent – und es gibt keine Anzeichen einer Tendenzwende.

Selbst wenn die im Plan festgeschriebene Wachstumsrate auf acht oder neun Prozent gesteigert wird, bleibt die Quote vermutlich hinter der Realität zurück, prognostizieren Experten. Das Zögern der chinesischen Führer, im Fünfjahresplan mehr als zehn Prozent anzuvisieren, spiegelt vielleicht die Vorbehalte einiger Ökonomieexperten gegenüber dem Boom wider.

Tatsächlich besteht die Gefahr einer überhitzten Wirtschaft. Die Inflation beträgt in einigen großen Städten 14 Prozent, und es gibt keine Kreditbeschränkungen. Bis jetzt gab es jedoch keine Anzeichen für Bankenerstürmungen und Panikkäufe, wie sie 1988 die überhitzte Wirtschaft charakterisierten.

Während einige Städte einen Aufschwung erleben wie nie zuvor, wächst andererseits die Unzufriedenheit der Bauern, die nach wie vor etwa 75 Prozent der Bevölkerung Chinas ausmachen; auf dem Land nämlich ist von dem Aufschwung nichts zu spüren. Und auch die Städte in Chinas Hinterland zeigen ein weit langsameres Wachstum als jene im Süden und an der Ostküste.

Dennoch hieß es im Kommuniqué des Zentralkomitees explizit: „Da sich die Bedingungen in den verschiedenen Regionen unterscheiden, sollte keine vereinheitlichte Geschwindigkeit der Entwicklung angestrebt werden“.

Aber auch in den Boom-Städten gibt es alarmierende Einkommensunterschiede. Selbst wenn man die wachsende Zahl der Unternehmermillionäre außer acht läßt, erzeugt die Disparität auch hier Unzufriedenheit – Verkäufer können bis zu zweihundert US- Dollar im Monat verdienen, während sich Professoren weiterhin mit vierzig Dollar zufriedengeben müssen; die Lohndifferenzen verschärfen das Problem der Preissteigerungen für die ärmeren Schichten der Gesellschaft.

Zunehmend verbreitet sich auch die Empfindung, die alten Männer in Peking sprächen zwar von ökonomischen „Reformen“ – aber das, was an der Basis passiert, habe mehr mit Chaos zu tun. Es fehlt an juristischen Regelungen. Zunehmend wird auf Kontrollen und Beschränkungen der freien Unternehmen verzichtet. Darüber hinaus verliert Peking die Kontrolle, da mehr und mehr Macht an die Provinzen und Gemeinden delegiert wird. Catherine Sampson