: UN-Kommandeur als Geisel?
■ Obwohl General Morillon Srebrenica bereits am Freitag verlassen wollte, hält er sich weiter in der ostbosnischen Stadt auf / Kein Durchkommen für UN-Hilfskonvoi
Sarajevo (AP/dpa/taz) – „Ich habe beschlossen, hier zu bleiben und die Not der hiesigen Bevölkerung zu lindern und sie zu retten.“ Mit diesen Worten hatte Phillipe Morillon, Kommandeur der UN- Truppen in Bosnien, am Samstagnachmittag die unerwartete Verlängerung seines Aufenthalts in der ostbosnischen Stadt Srebrenica zu erklären versucht. Ob diese Verlängerung allerdings ganz „freiwillig“ zustande gekommen ist, bleibt weiterhin unklar. Noch am Samstagmittag hatte ein UN- Sprecher mitgeteilt, daß Flüchtlinge die Abfahrt des Generals verhindert hätten. Die „erregten aber friedfertigen Menschen“ hätten ihre Ängste geäußert, nach der Abfahrt Morillons wieder beschossen zu werden. Außerdem habe die Bevölkerung drei Bedingungen gestellt. Sie fordere einen sofortigen Waffenstillstand, die Stationierung von Beobachtern und die Fortsetzung der Luftbrücke. Im bosnischen Rundfunk wurde eine Erklärung „der Frauen von Srebrenica“ verlesen: „Wir wollen, daß er solange bleibt, bis alle Versprechungen erfüllt sind.“
Das französische Außenministerium teilte dagegen mit, daß der Kommandeur von den anhaltenden Kämpfen in Ostbosnien an der Abfahrt gehindert worden sei. Der stellvertretende bosnische Präsident Ejup Ganić sagte nach einem Gespräch mit Morillon, er habe den Eindruck gewonnen, daß der UN-Kommandeur solange in Srebrenica bleiben wolle, bis seine Verhandlungsziele erfüllt seien. Dabei gehe es neben der Evakuierung der Verwundeten auch um einen Waffenstillstand sowie die Sicherstellung von Hilfslieferungen.
Tatsächlich scheint es Morillon jedoch bisher nicht gelungen zu sein, die serbischen Angreifer in ihre Schranken zu weisen. Die Offensive in Ostbosnien wurde verstärkt, bei den Kämpfen um Srebrenica sollen auch Hubschrauber eingesetzt worden sein, mindestens zwanzig Menschen starben.
Und auch für die Hilfskonvois gibt es weiterhin kein Durchkommen. Während in der Nacht zum Sonntag sechs Transportflugzeuge der US-Luftwaffe erneut mehr als 40 Tonnen Nahrungsmittel über Srebrenica abwarfen, wurde eine Kolonne von neun UNHCR-Lastwagen an der Drina von serbischen Grenzern zur Umkehr gezwungen.
Aber auch in einer anderen muslimischen Enklave wird die UNO als Schutzschild benutzt. Nach Berichten eines britischen Majors seien in Konjevic Polje bei einem Artillerieangriff auf UN- Fahrzeuge mindestens 14 Menschen ums Leben kamen, die sich bei den Autos in Sicherheit wähnten. Über Tausend Menschen hätten sich am Freitag versammelt, um die Abfahrt der UN-Mitarbeiter zu verhindern. her
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