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Nöte der Sprachtrunkenheit

■ Sämige Kunstprosa: Bodo Morshäusers „Der weiße Wannsee. Ein Rausch“

Vieles an dieser Prosa wirkt auf ungute Weise leblos, artifiziell: die bedeutungsschwanger hingehauchten Bilder ebenso wie das zur potemkinschen Hintergrundkulisse stilisierte Berlin. Wie entlaufene, gefühlsbesoffene Handke-Geschöpfe tappen die wenigen Figuren durchs Satzgestrüpp, geleitet und geführt vom juvenilen Märchenonkel. Vor allem aber dokumentiert der vorliegende Fall unmißverständlich: auch Räusche haben offensichtlich ihr Maß – ein ehernes Gesetz, dessen Mißachtung Katerstimmung erzeugt. Ist man noch dazu einem literarischen „Rausch“ auf den Leim gegangen, keimt in der sich lichtenden Sinnesvernebelung bald milder Zorn auf dessen Entfacher.

So geschehen im Fall Bodo Morshäuser neuster Prosaveröffentlichung „Der weiße Wannsee. Ein Rausch“, einem Buch, das schonungslos offenbart, in welche Nöte ein von der eigenen Sprachtrunkenheit berauschter Autor sich und seine Leser unweigerlich manövriert. Bedauerlich das Ganze, denn wenn dieser Autor bislang eines wirklich famos beherrschte, dann die Kunst des freien, unverkrampften Erzählens. Herrlich die Erinnerung an den herben Schmelz seiner einstigen Suchbewegung im simulierten Berlin nach Sally, dieser ersten, frühen Leuchtspur seines Erzählens.

Der kühle, bildergebährende Overdrive vergangener Tage scheint verquollen zu gequälter deutscher Prosaherrlichkeit; und jene Sätze, die bei ihm einst auf direktem Weg in die Seele des ehemaligen Versuchslabors Berlin führten, erscheinen inzwischen verstellt zu öden Wortsackgassen. Gegen seine neue, nun vorliegende Prosa wirken frühere Arbeiten wie „Die Berliner Simulation“ (1983), „Blende“ (1985) oder „Revolver“ (1988) wie Botschaften von einem anderen Stern, denn: was hier als spielerische Folge poetischer Berlinbilder erdacht, als in kleinen Geschichten sichtbar gemachte Neuentdeckung einer Metropole nach Aufhebung ihrer jahrzehntelangen Teilung konzipiert ist, kippt nach wenigen Seiten Lektüre um in salbungsvolles Wortgeklingel. Glorios zelebriert dieses Erzählen einzig sich selbst, um schließlich den eigenen Manierismen zu erliegen.

Gewiß: Morshäuser sucht nach neuen sprachlichen Wegen auf die „andere“ Seite Berlins, stenographiert in kleinen Anekdoten erkennbare Veränderungen in seinem persönlichen Umfeld, seiner eigenen Wahrnehmung und der seiner Mitmenschen; doch die Entdeckungsfahrt ins allzulang nahe ferne Umland suggeriert nichts von spürbarem Euphorisiert-, oder Bewegtsein des Einzelnen durch die tiefgreifenden Veränderungen; nichts von jenen neugewonnenen Möglichkeiten in Berlins großer Freiheit. Vielmehr mutieren die mit feierlicher Geste zu einer diffusen „Dreiecksgeschichte“ erklärten Episoden zwischen einem namenlosen Freund und dessen Hund, einer Regisseurin und dem Erzähler am Ende zu leerem Sprachverkehr zwischen „Ost“ und „West“. Eine wirkliche Symbiose zwischen Altvertrautem und Neugewonnenem kommt nicht zustande. Entgeistert registriert der Leser zuletzt eine ermüdende Stumpfheit der Bilder, wo überstarke Glücksgefühle annonciert, schale Trunkenheit, wo euphorisches Treibenlassen evoziert schien. Und die im Klappentext angekündigte Chronik des sagenhaften Sommers 1991? – verklumpt zu sämiger Kunstprosa eines Sprachverführten: „Welches Gehabe! Andeutungsreichtum und Bestimmungsarmut. Viersprachig. Erst Zeigeverlust; dann kein Mut zum Zeigen. Das einzig Wiedererkennbare war, daß es Kunst war.“ Peter Henning

Bodo Morshäuser: „Der weiße Wannsee. Ein Rausch“. Suhrkamp 1993, geb., 191 S., 32DM.

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