: Ziemlich enigmatisk ergräulich
Das Berliner Verlagshaus Galrev und die Unmöglichkeit, es zu portraitieren ■ Von Marko Martin
Das Ostberliner Verlagshaus Galrev mag keine Öffentlichkeit. Dies ist vielleicht nicht unbedingt typisch für einen Verlag, der avantgardistische Literatur herausgibt – Galrev wurde nach der Wende in der DDR gegründet, um, wie Ex-Geschäftsführer Klaus Michael sagte, „den kleinen nichtoffiziellen Literaturzeitschriften im Osten unter dem Dach eines professionellen Verlages ein Überleben zu sichern bzw. eigenständige Buchprojekte zu machen“.
Doch leider waren nicht nur die kleinen Literaturzeitschriften nichtoffiziell – inoffiziell war auch das konspirative Treiben zweier Szene-Matadoren: der sich auch in Lyrik versuchende Händler und Geschäftemacher Sascha Anderson (von Wolf Biermann in dessen spektakulärer Büchnerpreis-Rede als „Spitzel Sascha Arschloch“ enttarnt) sowie Rainer Schedlinski (unter dem Decknamen „IMB Gerhard“) waren inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Und dabei wollte man doch so gern Weltliteratur machen: Vor dem Mauerfall pilgerten unzählige Journalisten, Germanistikprofessoren aus allen möglichen Ländern zum Prenzlberg, um die ganz ganz andere Literatur der dort ansässigen Szene zu bewundern und in Artikeln und Doktorarbeiten unsterblich zu schreiben. Diese Literatur, so damals der Konsens, sei die erste wirklich autonome Literatur aus dem Osten, da für sie der repressive Staat weder als Affirmationsobjekt noch als politischer Gegner existent sei. Ein bißchen Dada, etwas Foucault, Derrida, französischer Dekonstruktivismus, eine Brise ostdeutscher Tristesse – und fertig war die Avantgardeliteratur made in GDR.
Die heutigen Fragen nach der Rolle der Stasi, nach dem Kalkül angeblicher Politabstinenz, über die Durchsetzung der Szene mit Spitzeln stören. Froh, die hundeverschissene Lychener Straße im Prenzlauer Berg hinter mir zu haben, wurde die fensterlose Eingangstür von Galrev keineswegs ein Sesam-Öffne-Dich. Ein Verlagsportrait schreiben? „Wir mögen keine Zeitungen, und die taz schon gar nicht!“ Befand ich mich im Vorzimmer eines DDR-Ministeriums; weshalb die Unfreundlichkeit?
Die harsche Frage von Egmont Hesse, zusammen mit IMB „Gerhard“ Galrev-Geschäftsführer, liefert die Antwort gleich mit: „Was wollen Sie eigentlich: Unsere Bücher rezensieren oder die alten Stasi-Geschichten aufwärmen?“ Und ehe ich entgegnen kann, hagelt es den knappen Bescheid: „Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich an Sascha Anderson, wenn er wieder in Berlin ist.“
Da ich aber eher im Gespräch etwas über einen Verlag erfahren wollte, anstatt ein IM-Gespräch mit David Menzer alias IMB Peters alias Fritz Müller alias Sascha A. zu führen, bin ich einigermaßen konfus. Stasi-Garde und literarische Avantgarde – wie geht das zusammen? Vielleicht so: „Unsere Mitarbeiter haben keine Zeit, sich mit Ihnen zu unterhalten. Das hält nur von der Arbeit ab und bringt keine positiven Resultate.“
Keine Fehlerdiskussion, Genossen, die Augen nach vorn (oder angesichts des unerwünschten Gastes mürrisch nach unten), die Literatur ruft. Die Überraschung über diese seltsame Mischung könnte kaum größer sein: Moderne Computer- und Druckanlagen stehen da, insgesamt eine schicke Büroatmosphäre. Und gleichzeitig dieses Kopfabwenden, Abblitzenlassen, dieses hartnäckige atavistische Schweigen, damit der nicht zur Horde Gehörende endlich verschwinde. Und schon stehe ich wieder draußen auf der Straße, in der Hand den Verlagsprospekt für 1993 und im Kopf so manche offene Frage.
Im angrenzenden Café Kiryl, das an diesem Vormittag ganz leer ist, bekommt man einen ausgezeichneten heißen Cappuccino und hat Zeit, das Verlagsprogramm eingehend zu studieren. Eine Anthologie mit amerikanischer Lyrik, Gedichtbände von Karl Mickel und Frank-Wolf Matthies, nobel gestaltete Bücher mit Penck-Graphiken, Stichen und Linolschnitten. Und weshalb dann das konspirative Getue, die kindisch anmutende Heimlichkeit? Einzig das Dementi war lebhaft während meines Minutenaufenthaltes innerhalb der Galrev-Mauern. Nein, zu verbergen habe man nichts, gar nichts, antwortete Egmont Hesse auf meine diesbezügliche Frage. Um gleich hinzuzufügen, daß die ökonomischen Grundlagen des Verlages für die Öffentlichkeit uninteressant seien. Der Literaturkritiker Carl Corino jedoch hat einmal die Vermutung geäußert, daß maßgebliches Galrev-Kapital eine Art Abschieds- Abfindung der Stasi für treue Dienste sei.
Der Pächter des geschmackvoll eingerichteten Café Kiryl ist ebenfalls ein Dichter: Detlef Opitz. Von Galrev-Geschäftsführer Rainer Schedlinski in seiner Funktion als IMB Gerhard ebenfalls für die Hauptabteilung XX des MfS bespitzelt; aktenkundig, belegbar, teilweise schon publiziert, peinlich und klebrig.
Ich hätte gern gewußt, warum Detlef Opitz denn hier noch arbeiten könne. Doch die freundliche Frau am Tresen kann mir nur sagen, daß Herr Opitz momentan nicht zu sprechen ist. Weil Herr Opitz gerade einkauft.
Also zurück zur reinen Literatur; im Café liegt noch ein Verlagsprospekt von 1991 aus. Da war der Name von Sascha Anderson noch ausgeschrieben, nicht, wie zwei Jahre später, mit S. abgekürzt. Kleinigkeiten? Dessen Gedichtband „Jewish Jetset“ wird im Programm so angekündigt: „Aufüberichen tut sich mir, ich verlese euren Text ,verladerampe‘, der, aus entkleidetem Schweigen komponiert, nichts verschweigt und X-gleich-U raunt...; geworfenhaft, enigmatisk ergräulich und geradezu mechanistisch-mystisch, wie verschlungen auch immer, geradezu. Hiermit translatiert Sascha Anderson erstmals die Mitte.“
Das schreibt der Dichter Papenfuß-Gorek über seinen dichtenden Kollegen, und mir brummt der Kopf. Der Sinn dieses In-Zungen- Redens will mir nicht recht offenbar werden. Gilt diese Papenfußsche Kriegsfüßigkeit gegenüber der deutschen Sprache gar als kleiner Katechismus für jegliche experimentelle Prosa? Wer könnte mich aufklären?
Vielleicht Cornelia Jentzsch, verantwortlich für die Presse. Doch auch sie blieb vor Ort bei Galrev unauffindbar, lag fiebernd und krank zu Hause. In klarer Prosa wußte über sie 1986 IMB Gerhard seinem Führungsoffizier zu berichten: „Die Jentsch hat das starke Bedürfnis, sich über viele Dinge theoretisch zu äußern. Dabei wird sie aber von vielen Leuten nicht richtig ernst genommen.“ Meinte Sascha Anderson auch solche Literatur, als der 1991 zu den Gedichten seines Kollegen schreibt: „Die Texte Rainer Schedlinskis treiben sich selbst, aus sich heraus, aus sich aus. Sie pflanzen sich sozusagen fort. Sie verlangen vom Leser, daß ihm des Textes Grund wie sein eigener nicht abhanden kommt.“
Mich jedenfalls treibt es erst einmal zu Galrevs ehemaligen Geschäftsführer Klaus Michael – übrigens der einzige, der mir auf meiner Tour in die Augen schaut. Auch er hält Corinos Vermutung für „völlig abwegig“, redet aber angesichts des gegenwärtigen Verlagsgeschehens Klartext: „Ehemals Privilegierte wie Anderson und Schedlinski fühlen sich jetzt als Opfer einer unbarmherzigen Westpresse und könnten damit zum idealen Fall für die ,Komitees für Gerechtigkeit‘ werden. Eigentlich verblüfft die Ähnlichkeit mit den alten DDR-Strukturen – von innen heraus kaum reformierbar, eher dem Druck von außen gehorchend.“
Klaus Michael hat seine speziellen Galrev-Erfahrungen. Nach den Stasi-Enthüllungen 1991/92 plante der Mitbegründer des Verlages, ein Buch herauszugeben, das die ganze Debatte aufarbeiten und auch das schwierige Verhältnis zwischen ästhetischer und politischer Opposition reflektieren sollte.
Obwohl sich Anderson und Schedlinski als enttarnte Spitzel erst einmal aus dem Verlagsgeschehen zurückzogen, stieß Michael mit seinem Projekt auf wenig Gegenliebe. Zurück von einem Kongreß in Chicago, fand er plötzlich Anderson wieder bei Galrev tätig: Schnell hatte der ein neues Programm entworfen – natürlich ohne das unangenehme Buch über Literatur und Staatssicherheit. Es wird dieser Tage bei Reclam Leipzig erscheinen. Klaus Michael kommentiert resigniert: „Vielleicht ist es auch besser so. Bei Galrev hätte sicherlich noch ein ermüdendes Feilschen um einzelne Beiträge stattgefunden, diese altbekannten Kollektivdiskussionen über Texte, die angeblich doch nur dem Gegner Munition liefern würden...“
Dabei reagierte man auf diesen Gegner durchaus: Als der Spiegel über Klaus Michaels Rücktritt als Galrev-Geschäftsführer berichtete, signalisierte man dort auf einmal, daß das umstrittene Buch vielleicht doch erscheinen dürfe, andererseits hätte es ja auch nie eine direkte, schriftliche Ablehnung gegeben...
Mir reicht es, und ich gebe offen zu, daß ich wohl kaum der richtige für dergleichen Sumpfblüten-Recherchen bin: Überdruß und Langeweile wirken sch lähmend aus. Vielleicht hätte ich noch einmal mit der vom Fieber genesenen Cornelia Jentzsch sprechen sollen, vielleicht hätte ich auch warten können, bis Herr Opitz vom Einkaufen zurückgekommen wäre. Vielleicht hätten sie mir ihre Version darüber anbieten können, weshalb im neuen Verlagsprogramm die Autoren Wolfgang Hilbig, Gert Neumann, Durs Grünbein und Thomas Brasch nicht mehr vertreten sind, ob sie sich wirklich aufgrund der Stasi-Geschichten von Galrev zurückgezogen haben oder ob sie nur wegen Fieber oder Einkaufstouren oder ähnlichem kurzfristig verhindert sind.
„Auf eine unangenehme Weise neugierig geladen, letztendlich aber stumpf und teilnahmslos“ – Jan Faktors Szene-Beschreibung von 1987 scheint das Ende der DDR mühelos überdauert zu haben, mittlerweile sogar noch mit konspirativen Pikanterien angereichert.
Keine Bange: Es regt sich kein wohlfeiler moralischer Ekel. Statt dessen eher der peinliche Wiedererkennungseffekt alter Mentalitäten: Sich einmauernder Autismus, humorlose Selbstbezogenheit, die Unfähigkeit, sich der Vergangenheit zu stellen – und all das unter dem hochfahrenden Anspruch, eine Avantgarde zu bilden. Mag ja sein, daß nichts zu enthüllen oder nichts zu beweisen ist, daß die Geldquellen des Verlages tatsächlich vor Reinheit glitzern, mag ja sein, daß Andersons Bekannte Michael Rom und Matthias Baader- Holst tatsächlich absolut zufällig ums Leben kamen, einfach in die Straßenbahn gelaufen oder so. Mag alles sein.
Dann aber sollte auch die Langeweile ihr Recht erhalten. Die Legitimität des Gähnens angesichts einer Avantgarde, die sich derart spießig und bonzenhaft geriert, so daß alles eine gelungene Parodie sein könnte, zeigten die herunterlappenden Mundwinkel nicht teutonische Ernsthaftigkeit an.
Alles ziemlich „enigmatisk ergräulich“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen