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Spekulationen nach den Anschlägen von Bombay

■ Die Suche nach Tätern und Motiven/ Sikh-Gruppierung bekennt sich zu den Attentaten/ Welches Interesse hat Pakistan an Destabilisierung Indiens?

Neu-Delhi (taz) – Zu den Bombenanschlägen von Bombay, bei denen am Freitag über 250 Menschen starben und mehr als 1.200 verletzt wurden, hat sich gestern eine militante Sikh-Gruppierung bekannt. Ein „Kommandounternehmen Khalistan“, das nach Angaben der indischen Nachrichtenagentur UNI in Pakistan beheimatet sei, habe sich telefonisch gemeldet. Ob die Sprengstoffanschläge tatsächlich auf separatistische Sikhs – die für einen eigenen Staat Khalistan kämpfen – zurückgehen, wird sich allerdings erst noch erweisen.

Auf die Anschläge hat die indische Regierung mit großer Bestimmtheit reagiert. Im Unterschied zu den Unruhen im Januar begab sich Premierminister Rao noch am Samstag in die Hafenstadt Bombay. Gleichzeitig mobilisierte der neue Chefminister Sharad Pawar den gesamten lokalen Staatsapparat, um die Urheber der Anschläge zu identifizieren und den Schaden an jenen Institutionen zu beheben, deren Lahmlegung zweifellos eines der Ziele der Attentäter gewesen war. Er gab die Order, die Börse bis am Dienstag wieder funktionsfähig zu machen. Am Sonntag und Montag wurden drei weitere Bomben, die nicht explodiert waren, gefunden und entschärft. Die hohe Zahl der Opfer vom Freitag zeigt, daß die Attentate von tödlicher Präzision und Massenwirkung gewesen waren.

Die Wahl der Stadt Bombay, und noch mehr der lokalen Ziele, scheint zu zeigen, daß es den Urhebern darum ging, den Staat an einem empfindlichen Nerv zu treffen. Bombay ist das Finanz- und Industriezentrum des Landes, mit seinen Nuklearinstallationen und seiner Nähe zur größten Offshore- Ölquelle Indiens ist es ein wichtiges Energiezentrum, und sein Tiefseehafen („Bom Bahia“) macht ihn zu einem wichtigen Umschlagplatz der Handels- und einem Heimathafen der Kriegsmarine. Allein über die nun teilweise zerstörte Börse werden 90 Prozent der täglichen landesweiten Umsätze getätigt.

Premierminister Rao wie Chefminister Pawar kennzeichneten die Anschläge auch als Versuche, die Wirtschaft des Landes zu treffen und damit das ganze Land zu destabilisieren. Tatsächlich kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß mit der Börse, den First-class-Hotels, dem Transportwesen und der Universität in erster Linie das Vertrauen gerade internationaler Investoren erschüttert werden sollte, die eben erst begonnen haben, Indiens Modernierungswillen ernst zu nehmen.

Bei der Suche nach den Hintermännern der Attentate hieß es zunächst, es sei kaum vorstellbar, daß lokale Gruppierungen das Know- how für Anschläge einer derartigen Präzision besitzen. Daher blickte man vor allem auch auf Gruppen, die vom Ausland aus agieren, seien es die srilankischen „Befreiungstiger“ oder moslemische Gruppen, die von Pakistan unterstützt werden.

Denn das Nachbarland Pakistan hätte, in den Augen der meisten Inder, ein natürliches Interesse an der Schwächung ihres Staates. Die eingestandene Identifizierung mit der kaschmirischen Untergrundbewegung steht dafür ebenso wie die unbezweifelbare Unterstützung der autonomistischen Sikhs. Mit dem militärischen Geheimdienst „Inter Services Intelligence“ (ISI) verfügt es zudem über ein Instrument, das – zum Beispiel im Afghanistankrieg – operationell und finanziell weitgehend autonom operiert.

Was hier noch oft verschwiegen wird, ist die Tatsache, daß die religiöse Polarisierung Indiens dem ISI bei den verängstigten indischen Muslimen ein Mobilisierungsbecken bereitstellt, dessen Potential für eine Balkanisierung des Landes von beängstigender Größe ist. Obwohl Geheimdienstberichte in letzter Zeit vermehrt vor dieser Gefahr warnen und auch schon Szenarien entworfen haben, wie sie nun am letzten Freitag Wirklichkeit wurden, fehlte in Bombay bislang jeglicher Hinweis auf eine aktive Beteiligung Pakistans. Bernard Imhasly/li

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