piwik no script img

Kommt dieses Wort Geschlecht von gut...

...ach nein von schlecht und der Verlust liebt sie die Lust? – „Wie es Euch gefällt“  ■ Von Ina Hartwig

Es gibt ein Zentrum in der Inszenierung der Liebes- und Geschlechts-Doubletten-Komödie von Shakespeare, die Katharina Thalbach im Berliner Schillertheater inszeniert hat und deren Premiere vor einem insgesamt etwas sachte lachenden, dafür um so mehr Beifall spendenden Publikum über die Bühne ging: Rosalind – ein Mann (Michael Maertens), der sich als Frau verkleidet, die sich als Mann verkleidet, der eine Frau spielt, die einen Mann spielt und am Ende den Mann kriegt, für den er spielt. Oder sie? Doch dazu später.

Da Romeo und Julia sich wahrhaft lieben, aber sich nicht lieben dürfen, sterben sie. In „Wie es Euch gefällt“ stirbt keiner, und am Ende lieben sich alle. Aber sie lieben sich nicht wahrhaftig, statt dessen sind sie komisch: Ein durchaus akzeptabler Tausch.

Wie es Shakespeare gefällt, gibt es zwei verfeindete Herzöge, von denen einer den anderen verbannt hat. Weil sie aber ohne Ehefrauen leben (folglich nichts zu verlieren haben), werden sie sich am Ende vertragen. Dann gibt es noch einen Dritten, einen (toten) adeligen Mann ohne Gemahlin, den Freiherrn Roland de Boys. Von dem einen Herzog wird er geliebt, von dem anderen gehaßt. Seine zwei Söhne vertragen sich nicht, wegen des Erbes und auch sonst: Orlando (Guntbert Warns), der schönere, jüngere, der bald in Liebesphantasien verstrickt sein wird, und Oliver (Wolfgang Pregler), der ältere, tyrannische, kleine, dicke, der noch ziemlich lange darben muß, ehe sein Herz sich erwärmt. Dann aber gewinnt er nicht nur seinen Bruder, sondern auch... Da wären wir bei den Frauen. Wie es Shakespeare gefällt, sind auch sie ein Zweiergespann: Töchter der verfeindeten Herzöge, folglich Kusinen, dabei sich so sehr zugetan, daß gemunkelt wird, es sei mehr im Spiel als Spiel. Doch das ist falsch – fast falsch.

Celia und Rosalind trippeln auf die Bühne. Ihre bunten, über der Hüfte bauschig aufwallenden Hofkleider schleifen über die hell getünchten Holzplanken. Groß ist Rosalind, die Tochter des Verbannten, klein die Celia, Tochter des Verbanners. Lang, dunkel und glatt fällt Rosalinds Haar auf kräftige Schultern, karottenrot leuchtet Celias Krausschopf in der Form zweier mittig getrennter Häubchen. Sie hat eine große Nase und liebt ihre Kusine, ihr „Mühmchen“, wie sie es nennt, sehr. Fast zu sehr. Flachbrüstig sind die Damen unter dem hübschen Décolleté, was nicht an ihrem juvenilen Alter liegt, sondern an Katharina Thalbachs kühner Entscheidung, alle Frauen in diesem Stück von Männern spielen zu lassen – auch die Schäferinnen, später im Wald, wo alles so richtig losgeht.

„Kommt dieses Wort Geschlecht von gut ach nein von schlecht und der Verlust liebt sie die Lust und das was bleibt ist nur was sich an nichts mehr reibt“ etc. So klingt und rauscht die sprachliche Verwirrung, die Thomas Brasch mit seiner Shakespeare- Bearbeitung stiftet und deren akustische Entwirrung, wegen vieler Huster im Publikum, leider nicht immer gelingen will. Eines aber ist klar: Celia (Stefan Merki) will ihr Kusinchen nicht allein fortziehen lassen. Nachdem ihr herzöglicher Vater beschlossen hat, die Tochter seines Feindes nicht länger an seinem Hof zu dulden, beschließt sie, Rosalind zu folgen. Und zwar, wie kann es anders sein: in Männerkleidung. Und schon sehen wir die zwei Gazellen im Ardennenwald, wo die Rhetorik auf die Liebe trifft und die Liebe pädagogisch wird – und wo, Zufall!, auch der verbannte Herzog weilt mit ein paar Burschen.

„...Kriegst du mich oder krieg ich dich oder kriegt uns der Krieg oder heißt unsre Niederlage Sieg wenn ich dir unterlieg vielleicht...“ – die Aphorismen gurgeln. Von der Decke hängen Holzstämme, wenn es stürmt, schwanken sie, auf die Planken fällt Flutlicht. Im Samtanzug, mit X-beinigem Schritt stakst Rosalind durch den unheimlichen Wald: „Ich wäre im stande, meinen Mannskleidern eine Schande anzutun, und wie ein Weib zu weinen.“ Ihr hinterher trottet Celia in Schäferinnenkluft. Die schaurig-aufregende Idylle könnte von ungetrübter Schwesterlichkeit sein, wäre inzwischen nicht folgendes passiert: Rosalind hat sich verliebt. Und zwar in Orlando, den jüngsten Sohn des von Celias Vater gehaßten, von Rosalinds Vater aber geliebten Freiherrn. Erwartet werden kann, anders als bei „Romeo und Julia“ in Padua, die Verbindung der Kinder verbündeter Papas. Und die arme Celia steht zunehmend traurig und trotzig daneben – zur Zuschauerin degradiert. Daß sie sich gegen den eigenen Vater entschieden hat, nützt ihr nichts in der Eifersucht; aber am Ende kriegt auch sie einen Mann: Orlandos Bruder. Zwischendurch aber darf Celia mit der geliebten Rosalind noch einmal schaukeln auf einem Baumstamm, den die Frauen zwischen die Beine klemmen: eine Szene von obszöner Heiterkeit.

Orlando hat niedlich lockiges Haar, ist ein bißchen feige und nicht sehr geistreich, im Gegensatz zu Rosalind. Verliebt hatte sie sich, als Orlando einen vom bösen Herzog bestellten Catcher mit Slapstick-Tricks (wie Hose runter ziehen) besiegt hatte. Da er der Sohn seines Vaters ist, enthält der Herzog ihm den verdienten Lorbeerkranz vor. Was aber den Herzog erbost, erbost Rosalind keineswegs, sie schenkt ihm ihre Kette und drückt ihm einen schnellen Kuß auf den Mund. Und läuft keusch weg. Seitdem befinden die beiden sich in demselben Zustand der Verliebtheit.

Und so kommen sie fast nicht zusammen. Denn als Rosalind Orlando im Wald rein zufällig trifft, ist sie ja als Mann verkleidet, so daß der Jüngling, der an etliche Bäume gerade tänzelnd Liebesverse klebt, in denen er Rosalind besingt, gar nicht merkt, daß sie leibhaftig vor ihm steht. Was tut also Rosalind? Sie wird genial. Als Orlando an seiner Liebe zu verzagen droht, weil Rosalind so fern ist, schlägt Rosalind ihm vor, er solle sich vorstellen, sie sei Rosalind. Er soll sich also vorstellen, was der Fall ist. Tut er aber nicht. Statt dessen wird Rosalinds Liebespädagogik zur Tortur: für den, der nicht alles versteht („...kannst du wenn ich dich jetzt frage ob du mich liebst mich liebevoll ansehen JA sagen und NEIN meinen oder kannst du wenn ich dich jetzt frage ob du mich liebst mich haßerfüllt ansehen NEIN sagen und JA meinen...“) sowie für die, die zuviel versteht. Was Rosalind nämlich allmählich mitbekommt, ist, daß Orlandos Schwärmerei nicht unbedingt von Tatendrang begleitet wird. Was sie zu frustrieren anfängt, zumal es sie durchaus zu Taten drängt. Küssen zum Beispiel.

Um der männlichen Verhinderung ein Ende zu setzen, fädelt sie eine Gruppenhochzeit ein, zu der sie beschließt als Frau zu erscheinen. Da sind sie alle versammelt, in gleißendem Licht, und warten auf (die echte) Rosalind: Touchstone und seine Schäferin, Silvius und Phoebe – die sich in Rosalinds zupackende, „männliche“ Rhetorik verliebt hat –, Orlandos inzwischen bekehrter Bruder und Celia, die nun auch froh werden darf, und: Orlando. Theaterrauch wird sichtbar, Theaterdonnern hörbar. Eine Gestalt steigt eine Treppe hoch, tritt mit fürstlichen Schritten (keine X-Beinigkeit mehr) auf die Menge zu, in purpurrotem langem Kleid und weißer festlicher Halskrause: Rosalind. Nun, plötzlich, erkennt auch der dusselige Orlando sie und schmilzt dahin. Aus dem Off erklingt Katharina Thalbachs Stimme, das erste und einzige Mal eine weibliche Stimme: So vereinigt Euch denn, Ihr Paare. Und was sagt uns das über die Wahrheit und Unwahrheit der Verkleidung? Über die Männer und die Frauen? Jedem das seine, verkündet Rosalind in ihrem Epilog: „Wie es euch gefällt“. Sie sieht immer noch toll burschikos aus.

„Wie es Euch gefällt“ von William Shakespeare, bearbeitet von Thomas Brasch, am Schillertheater, Berlin. Inszenierung: Katharina Thalbach, Ausstattung: Ezio Toffolutti. Mit Heinz-Werner Kraehkamp, Guntbert Warns, Michael Maertens, Stefan Merki u.a. Nächste Vorstellung: 28. März

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen